Im Altersheim gibt’s Bier – Warum Freunde die wahre große Liebe sind

Meine Generation träumt von Liebe bis ans Lebensende, weil sie schon mit der Muttermilch disneyfiziert wurde. Dabei sind es ganz andere Menschen, mit denen wir den Großteil unseres Lebens glücklich verbringen: Freunde

Die große Liebe zu finden, das ist für meine Generation der heilige Gral der Gefühlsangelegenheiten. Hollywood hat es vorgemacht: Ein Blick, ein Lächeln und Boom: Liebe bis an unser Lebensende. Wir wurden durch bunte süße Filmchen schon mit der Muttermilch disneyfiziert. Hach, es könnte so schön sein. Die große Liebe, also der Mensch, mit dem wir unendliches Glück teilen können, ist ein Idealbild, welches unsere heutige sonst eher raue Welt wunderbar romantisiert. Zwischen Krieg, Terror und politischen Zerwürfnissen malen wir kleine Herzchen auf unseren Schreibblock, denn wir glauben: Hinter jeder Ecke könnte sie Stecken, die Person, von der wir schon immer geträumt haben. Dass dem nicht so ist, müssen wir im Verlauf der Jahre leider schmerzlich feststellen. Verlassen werden, Verletzungen aushalten, unsere hohen Erwartungen an diesen einen Menschen, können nur in einem Desaster enden.

Wie passt die Sehnsucht nach der großen Liebe mit der hohen Scheidungsrate zusammen?

Die Sehnsucht nach der großen Liebe erzeugt in uns Druck. Diesen Druck kenne ich nur allzu gut. Wenn ich Zeit habe, schaue ich mir im Fernsehen regelmäßig überglückliche Frauen an, die nach ihrem perfekten Hochzeitskleid suchen. Passend zu ihrer perfekten Hochzeit und ihrem perfekten Partner. Große Gefühle auf der Mattscheibe, während ich mich seit Jahren frage: Werde ich auch einmal in so einem Brautmodengeschäft stehen, ganz in weiß? Mit Tränen in den Augen und dem Wissen den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Die Hochzeit ist schließlich das Symbol für ewige Liebe und Treue, sozusagen das Ziel, an dem es anzukommen gilt. Dass die aktuelle Scheidungsrate über 40% beträgt, verschweigt man in diesen Fernsehsendungen gern.

Die grosse Liebe auf den Partner zu projizieren ist ein Fehler

Wenn es nun aber so unwahrscheinlich ist, dass der Mensch, von dem wir eigentlich dachten, er wäre die große Liebe, dieser Rolle wirklich gerecht wird, müssen wir dann unser Traumbild über Bord werfen? Ich sage nein. Die große Liebe auf einen Partner zu projizieren ist von vornherein ein Fehler. Der Mensch an unserer Seite, dem wir ein Teil unseres geschundenen Herzens schenken, hat schon genug Rollen zu erfüllen: starke Schulter, zukünftiger Elternteil, allzeit bereite helfende Hand. Überfordern wir ihn nicht, indem wir auch noch erwarten, dass er/sie die Hollywood -Disney-Filmrolle der großen Liebe übernimmt. Vielleicht sind es gar nicht unsere Partner, die wie geschaffen dafür sind.

Im Altersheim gibt’s übrigens Bier

Das fiel mir wie Schuppen von den Augen, während ich mich in einer langen Partynacht mit meinem besten Freund unterhielt, der mich schon seit meinem 16. Lebensjahr begleitet. „Ich hoffe, dass wir für immer miteinander befreundet sind.“, sagte ich zu ihm, während wir mit einem kalten Bier anstießen. „Na klar, wir müssen uns später nur das gleiche Altersheim aussuchen.“, antwortete er amüsiert. „Im Altersheim gibt’s übrigens Bier.“, klärte ich ihn auf und wir beide mussten lachen. In meinen Gedanken malte ich Bilder, wie wir grau und faltig auf einer Parkbank sitzen würden, ein leckeres Hopfengetränk in der Hand und mit all den Erinnerungen an unsere jahrzehntelange Freundschaft im Kopf. Ich lächelte, weil ich die Vorstellung ziemlich romantisch fand. Nicht partnerschaftlich romantisch, sondern freundschaftlich romantisch. Ich war mir sicher, dass wir genau so zusammen alt werden würden, komme was wolle. Eine Scheidung gibt es für Freundschaften Gottseidank nicht. Freundschaften sind polyamor, man kann davon so viele führen, wie man möchte, ganz ohne Eifersüchteleien. Kein Fremdgehen, kein Selbstwertproblem. Auch wenn ich grau und runzlig werde, Freunde sehen nur den tollen Menschen in mir, der sich unter der alternden Hülle versteckt. Wenn ich alt sein will, dann so! Wilde Partys, durchwachte Nächte, wer sagt, dass ich das nicht im Altersheim haben kann?

Freunde sind die wahre große Liebe unseres Lebens. Es sind die Menschen, die da sind, auch wenn andere Lieben gehen. In einer Zeit, in der Beziehungen immer loser werden, meine Generation sogar als beziehungsunfähig gilt, sind Freunde die Konstanten. Sie machen das Leben lebenswert, ganz ohne große Erwartungen. Ich habe ein mulmiges Gefühl dabei, wenn ich ans Alter denke, aber es zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich mir immer wieder bewusst mache: Im Altersheim gibt’s Bier. Das werde ich trinken mit den Menschen, denen mein Herz für immer gehört, der großen Liebe meines Lebens: meine Freunde.

 

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