Der unten stehende Text entstand während der Vorbereitung eines Workshops zum evangelischen Mirjam-Sonntag. Der Mirjam-Sonntag beschäftigt sich mit der Geschlechtergleichheit in der evangelischen Kirche und wird von Frauen vorbereitet. In diesem Jahr unter dem Motto „Du bist schön“.
Bezug genommen wurde auf das Hohelied, eine Sammlung von Liebesliedern in der Bibel. Die Teilnehmerinnen, die meinen Workshop besuchten, den ich zusammen mit einer Pastorin durchführte, sind in der kirchlichen Arbeit verwurzelt. Der Workshop diente als Inspirationsquelle für individuelle Gottesdienste zum Mirjam-Sonntag. Mein Workshopthema trug den Titel „Junge Menschen, Beziehungen und die Liebe heute“. Ausgangspunkt unserer Arbeit war das Zitat aus dem Hohelied „Mein Freund gehört mir, und ich ihm.“. Ich als Atheistin, die sonst nur an Weihnachten Berührungspunkte mit der Kirche hat, stand vor der Herausforderung mich in die Art und Weise hineinzuversetzen, in der zur Entstehungszeit über Liebe geschrieben wurde. Genau das war das Spannende an diesem Workshop: Wie wird ein solcher Text von einer Atheistin interpretiert? Welche Gültigkeit haben die Worte noch heute?
Verstärkt tinder die Oberflächlichkeit der Partnersuche?
Nachdem die Workshopleiterin und ich unsere Interpretation des Zitates „Mein Freund gehört mir, und ich ihm“ vorgestellt hatten, ging es in eine lebhafte Diskussion. Allen voran die Frage: Wie entstehen heute Beziehungen? Was hat sich durch die Digitalisierung unserer Welt verändert und was macht das mit unseren Vorstellungen von Liebe und Zärtlichkeit? Da in unserem Workshop viele unterschiedliche Altersgruppen vertreten waren, konnten wir aus einem großen Schatz an Erfahrung und Weisheit schöpfen. Als besonders spannend empfand ich die verschiedenen Meinungen zur Datingapp tinder. Während die jüngeren Teilnehmerinnen eher die positiven Aspekte dieser Kennenlernmöglichkeit herausstellten, kritisierten die älteren die zunehmende Oberflächlichkeit und optische Fixierung in der Partnersuche.
Hollywood braucht eine neue Art des Happy Ends
Heiß diskutiert wurde die sogenannte „Disneyfizierung“ der Liebe. Wie sorgt Hollywood dafür, dass sich unser Bild von Liebe in den letzten Jahrzehnten so verändert hat? Wir stellten fest, dass es ein bestimmtes Happy End war, welches wir uns häufiger auf der großen Leinwand wünschen: Eine Frau, die glücklich ist. Glücklich mit sich selbst, ohne sich zwingend in einer Partnerschaft zu befinden.
Auf eines konnten sich alle Teilnehmerinnen einigen: Wer mit sich selbst im Reinen ist, braucht nicht zwingend einen Partner, um glücklich zu sein.
Meine Interpretation des Zitats „Mein Freund gehört mir, und ich ihm.“ aus dem Hohelied.
Mein, dein – das sind doch bürgerliche Kategorien – sagte schon das kommunistische Känguru, eine Romanfigur des Autoren Marc-Uwe Kling. Besitz, das ist in Zeiten des Streamings und Sharings ziemlich out. Dann nutzen, wenn man es braucht, ohne hohe Anschaffungskosten zu haben. Was das mit der Liebe zu tun hat? Unsere heutige Gesellschaft entwickelt sich nicht nur bezüglich ihres Konsumverhaltens in eine unverbindliche Richtung, auch Beziehungen tun es. Im ersten Moment weckt es ein komisches Bauchgefühl, ein Streamingangebot mit Liebe zu vergleichen. Hier geht es nicht darum, eine Beziehung plötzlich aufzugeben, nur weil sie nicht mehr so recht ins eigene Leben zu passen scheint. Es geht darum, „Besitz“ neu zu definieren.
Eine neue Definition von „Besitz“
Das einzige, das wir wirklich besitzen, sind wir selbst. Unser Körper und die Seele, die in ihm gebunden ist. Über all das können und dürfen wir entscheiden. Haare ab, Haare dran, Gewicht rauf, Gewicht runter, was wir mit uns anstellen, ist uns selbst überlassen. Wäre unser Partner unser Besitz, hieße das im Umkehrschluss, wir dürften über ihn und sein Leben entscheiden. In früheren Zeiten mag es solche Beziehungen gegeben haben, in denen sich ein Part komplett dem anderen unterwarf und mehr Sklave als Lieblingsmensch auf Augenhöhe war. Gottseidank ist das lange her.
Neugewonnene Freiheit nicht aufgeben
Wir sind uns heutzutage bewusster über uns und unsere Bedürfnisse. Individualität wird groß geschrieben. Dieser Selbstbezug sorgt dafür, dass wir viel eher wahrnehmen, wenn uns etwas nicht gut tut. Gerade Frauen sind es, die sich nun bewusster für eine Beziehung entscheiden, oder gegen sie. Sie leben freier, ohne Abhängigkeit von einem Mann. Diese gewonnene Freiheit aufzugeben, um zum Besitz eines anderen Menschen zu werden, würde unsere Gesellschaft wieder in eine längst vergangene Zeit zurückwerfen.
So romantisch das Zitat aus dem Hohelied im ersten Moment scheinen mag, so antiquiert ist es. Auch wenn nicht alle Entwicklungen, die moderne Beziehungen durchlaufen der Liebe besonders gut tun, sind sie doch ein Fortschritt, den es zu verteidigen gilt.