Dieser Artikel erschien zuerst bei der HuffingtonPost. Durch die Abschaltung der deutschen Ausgabe der HuffingtonPost zieht er nun zur Autorin „zurück“ 🙂
Was früher Punks, Gothics und Rocker waren, sind heute angepasste Hipster, die man kaum noch auseinanderhalten kann. Wo ist nur die Individualität der GenY geblieben? Werden wir uns in zukünftigen Geschichtsbüchern möglicherweise als „Homo-Hipstonimus“ wiederfinden?
Berlin, Mittwochmorgen, 10 Uhr: Ich stehe in Nähe des Bahnhof Zoos und beobachte das Treiben, während ich auf einen Termin warte. Plötzlich fällt mir eine Menschenansammlung auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf.
Dicht gedrängt schlängelt sich eine Personenschlange an mehreren Hauswänden vorbei. Was da wohl los sein mag, unter der Woche um 10? Vielleicht eine neue Außenstelle der Tafel? Bei genauerer Betrachtung erblicke ich Hochwasserhosen, Mützen und Hornbrillen. Die Sache war klar: Hipster-Versammlung. Ich seufze, während ich zum Kopfschütteln aushole. Haben die um diese Uhrzeit nichts Besseres zu tun, als sich über Stunden irgendwo anzustellen? Arbeiten zum Beispiel?
Objekt der Begierde dieser vielen Mützenträger war eine Ausstellung, welche in einem ziemlich heruntergekommenen Haus stattfand. Schäbige Einrichtung, ein bisschen Kultur, das ist für die Berliner Hipster-Szene wie Zuckerwasser für Bienen, sie können einfach nicht widerstehen.
Jaja, die GenY ist doch die …
Die Menschen, die sich dort bei 10 Grad Außentemperatur die Beine in den Bauch standen, sind leider ein typisches Bild meiner Generation. So werden wir zumindest besonders gerne in den Medien und in der Werbung dargestellt. Jaja, die GenY ist doch die, die man auf jeder Ausstellungseröffnung trifft, sobald dort kostenlose Getränke gereicht werden. Unser Alltag besteht, vertraut man dem Stereotyp, sowieso nur daraus mit einer Club Mate in der Hand von Veranstaltung zu Veranstaltung zu rennen. Sehen, gesehen werden und dabei noch einen Happen zu essen bekommen, damit man sich den Wocheneinkauf spart.
Es soll Hipster geben, die sich so an allen Tagen der Woche durch die Berliner Szene futtern und von einem Sekt-Kater zum nächsten stolpern. Hauptsache auf Instagram denkt am Ende jeder, man wäre schon fast ein Z-Promi. Immer wenn einer von diesen Hipstern „Ich mache was mit Medien.“ sagt, denke ich mir insgeheim: Netflix gucken oder was?
Wo ist die Individualität meiner Generation geblieben?
Hipster wollten einmal individuell sein, doch heute sind sie austauschbarer denn je.
Wenn ich die Hochwasserhosen, Mützchen und Jutebeutel schon sehe, schüttelt es mich. Diese jungen Leute prägen das Berliner Stadtbild und nicht nur das, sie scheinen sich über das ganze Land ausgebreitet zu haben. Das Problem an der Sache ist: die Nachfolgegeneration macht es Ihnen nach. Sehe ich Gruppen von jungen Menschen durch Berlin laufen, kann ich sie kaum noch voneinander unterscheiden. Sie sehen alle nach H&M aus.
Austauschbar und aalglatt. Wo sind die Punks geblieben, die Gothics, die Rocker, all diejenigen, die in meiner Jugend dafür sorgten, dass Individualität an der Tagesordnung war. Die meisten von ihnen scheinen zu einem Einheitsbrei verkommen zu sein, der mir schon aus den Ohren quillt. Sie sind angepasst an eine Gesellschaft, aus der sie früher so gerne ausbrechen wollten. Besonders deutlich zeigt sich dies am heutigen Musikgeschmack: „Alles irgendwie“ ist übrigens keiner, erst recht nicht, wenn am Ende sowieso alle im gleichen Technoclub landen. Da muss man schließlich hin, wenn man etwas auf sich hält. Dabei gehen die besten Partys doch dort, wo nicht alle Gäste gleich aussehen, oder?
Bitte kein „Homo-Hipstonimus“
Es ist an der Zeit, dass sich die GenY ihre Individualität zurückholt. Überlasst die Hochwasserhosen, Hornbrillen und Mützen der Generation Z, die wissen vermutlich nicht einmal, wie „Individualität“ geschrieben wird. Kramt in euren Köpfen und holt die alte Erinnerungen hervor. Wie wart ihr damals? Was hat euch ausgemacht? Sicherlich nicht der Öko-Jutebeutel. Als ich ein bisschen gewühlt habe, stieß ich auf meine alten witzigen Gothicoutfits, in denen ich mit Freunden besonders gern „Die Ärzte“-Songs an öffentlichen Plätzen geträllert habe. Wir waren anders, wir waren unangepasst, wir waren authentisch. Genau das müssen wir uns zurückholen!
Oder möchten wir wirklich, dass in 100 Jahren im Geschichtsunterricht der „Homo-Hipstonimus“ als Mate vernichtendes, Hornbrillen tragendes, bemütztes Individuum auftaucht?