Ich bin heute Morgen zu spät aufgestanden. Ganz gewollt irgendwie. Als ich gegen 1 Uhr Nachts auf meinen Wecker schaute wusste ich, dass ich um 6 Uhr definitiv noch nicht wach sein werde. Bzw. wäre ich durch das Weckerklingeln wohl wach, aber nicht ausgeschlafen. Ich streckte meine Hand in Richtung des Weckers, stellte ihn auf 06:45 Uhr und legte mich beruhigt schlafen. Natürlich stand ich 06:30 Uhr hellwach in meinem Bett, aber besser so, als todmüde.
Ich beeilte mich besonders, da ich noch eine frühere Bahn schaffen wollte. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Mein Lesebuch für die Bahnfahrt hatte es nicht mehr in die Tasche geschafft, dafür die aktuelle NEON, die ich am Vortag in meinem Briefkasten fand.
Wie sollte es anders sein, wenn man sich mal beeilt, fällt die Bahn ohne Angabe von Gründen aus. Ist ja nicht so, als wäre es nicht kalt draußen!! Nach 10 Minuten Wartezeit fand ich sogar noch einen Platz, in der sonst überfüllten Bahn. Ich schnappte mir die NEON und blieb direkt am Artikel „Der Klick-Punkt“ hängen. Gleich der erste Satz „Die schönste Gabe des Menschen, ist der Selbstbeschiss.“ ließ mich stumm nicken.
Es geht um Affären, One-Night-Stands und dem, was daraus werden kann.
„Wir haben uns darauf geeinigt, dass es nichts bedeutet.“ – wird im Artikel zitiert. Genau, man „einigt“ sich. Man geht irgendwie einen Kompromiss ein, obwohl so etwas „unkompliziertes“ eigentlich kompromissfrei sein sollte. Es gibt meiner Meinung nach drei Arten von Affären:
Die 1. ist die wohl wünschenswerteste: Beide Parteien finden sich optisch ganz okay, charakterlich ganz nett, und der Sex ist auch in Ordnung. Somit sind beide auf dem Level „kann man machen, muss man aber nicht“. Man sieht sich ab und zu, unterhält sich, hat Spaß, aber vergisst sich auch schnell.
So eine Art Affäre ist mir selbst erst einmal begegnet. Entspannt ist hier das richtige Wort! So war es, tiefenentspannt, nicht aufwühlend und frei von irgendwelchen Fragen nach Definition. Wir schätzten uns, aber es war uns egal, was der Andere abseits der gemeinsamen Stunden trieb.
Die 2. Art der Affäre ist die, bei der ein Part Gefühle hat, oder Gefühle entwickelt. Sie ist die undankbarste. Nach außen hin macht sie den Eindruck, alles sei unkompliziert, aber ein Part der Affäre denkt zu wissen: Da muss mehr sein! Jede kleine Geste, jedes in den Arm nehmen, kuscheln oder anlächeln, wird als „dem Anderen geht es genauso!“ gedeutet. Auch wenn das Objekt der Begierde einen mit Füßen tritt, gibt man nicht auf. Man redet es sich so lange schön, bis die große Erkenntnis kommt: Er/Sie steht einfach nicht auf dich!
Diese Art der Affäre erlebe ich häufiger. Man hat eine gute Zeit, aber es schreit nach Definition. Mal auf der Straße Händchen halten, als Freund/Freundin vorgestellt werden, das wär’s! Genau mit diesem Ziel führt man den Kram weiter. Es macht einen innerlich kaputt, besonders wenn man teilen muss. War ich in diesen Situationen, habe ich versucht die Momente der Zweisamkeit zu genießen und aufzusaugen, für schlechtere Zeiten sozusagen. Wurde es unerträglich, versuchte ich mich zu lösen. Mal mit mehr Erfolg, mal mir weniger. Diese Affären enden mit Schmerz, aber auch Erkenntnis. Der Erkenntnis, dass das alles keinen Sinn macht.
Die 3. Art der Affäre ist die, die in großen Gefühlen und Hochzeiten endet. Beide Parteien suchen etwas unkompliziertes, finden es und merken plötzlich, dass dieses „unkomplizierte“ Ding, ziemlich schön ist. Es dauert seine Zeit, bis es zu einer offiziellen Definition kommt. Ist das Ganze erstmal definiert, steht einer glücklichen Zukunft nichts mehr im Wege.
Meine Erfahrungen mit dieser 3. Art gehen leider Richtung Null! So etwas passiert immer nur den Anderen. Komischerweise ziemlich häufig. Vermutlich gibt es eine festgelegte Zahl an Paaren, die sich so lieben lernen dürfen. In meinem Freundeskreis ist die Zahl wohl ausgeschöpft, da bleibt nichts mehr für mich über. Pech, oder so?
„Im 21. Jahrhundert baut sich jeder sein persönliches, maßgeschneidertes Lebens- und Liebeskonzept zu Hause, alleine, vor dem Laptop, während er im Internet in einer aktuellen Studie liest, dass 33 Prozent der Menschen bereit sind, eine Fernbeziehung zu führen – >>kommt für mich nicht infrage!<<. Während er sich mal wieder das Liebeskummerschluchzen des Kollegen anhört, der sich leider in die Chefin verliebt hat – >>Emotionen haben doch am Arbeitsplatz nichts verloren!<<“
Genau das! Wie drückte es Slavoj Zizek so schön aus, wir wollen alle diesen Moment, in dem wir stolpern und uns jemand daraufhin aufhelfen will. Zufällig ist dieser jemand ein gutaussehender Singlemann, es macht Peng und wir reiten davon, auf dem weißen Pferd. Oft wird von vornherein ausgeschlossen, dass es eine andere Art und Weise gibt, sich kennen- und lieben zu lernen. Sehr anschaulich beschreibt Zizek, warum es „to fall in love“ heißt. Sich fallen lassen, etwas aufgeben. Das Einzige, was viele Menschen heutzutage noch aufgeben, ist ein Frühstück, nachdem man bei einem One-Night-Stand übernachtet hat.
Das Gefühl der Nähe und Geborgenheit wird sich über die verschiedenen Arten der Affären geholt. Diese Art des „Kennenlernens“ hat anscheinend den „Standard“ vergangener Jahrzehnte ersetzt. Der Vormarsch von tinder etc. hat uns ent-romantisiert. „Es war so romantisch, als du mit deinem zitternden Finger mein Bild nach rechts gewischt hast, Es hat regelrecht geknallt. Da wusste ich sofort, dich werde ich einmal heiraten!„. Klingt doof, oder? Allerdings muss ich gestehen, dass ich manchmal eine Art Bauchgefühl hatte, als ich Männer „wischte“. Der Moment, in dem ich Carsten, den letzten Mann, der mein Herz so richtig zum Schmelzen brach, mit einem Herz markierte, war es etwas besonderes. Es war kein „Foto nett, wische ich also nach rechts“, sondern eher ein „der könnte zu mir passen, der hat was, was ich suche“. Es ist schwer zu umschreiben, aber mein Bauch sagte mir, dass dieser Mann mir gut tun würde. Und er tat es!
Vielleicht müssen wir uns erst an diese „neue Romantik“ gewöhnen? „Weißt du noch, als wir diese unkomplizierte Affäre hatten? Erst dachte ich, du bedeutest mir nichts, aber als ich durch die Hülle hindurch sah, trafen mich die Funken auf einen Schlag.“ – klingt schon besser, oder? Auch diesen „neuen“ Formen des kennen- und liebenlernens sollte man eine Chance geben. Das hat die Autorin wunderbar beschrieben.
Abschließen möchte ich mit ein paar Zeilen eines Songtextes von Udo Lindenberg, welchen auch die Autorin des NEON Artikels als Ende wählte: „Als wir uns damals trafen / Hab ich an nichts besonderes gedacht / Vielleicht dass wir’n bisschen probieren / Einen Tag und eine Nacht / Jetzt bin ich immer noch hier / Bei dir / Bleib ich jetzt hier kleben / Für so’n ganzes Leben / Oder jedenfalls bestimmt noch sehr, sehr lange.„