„Ich will das nicht!“, schallt es in meinem Kopf. Ich will das nicht, ich will das nicht, ich will das nicht! Wie ein bockiges kleines Kind verschränken meine Gedanken die Arme. Nur weil jetzt alle anfangen gesund zu essen und verdammt viel Sport zu machen, muss ich das noch lange nicht! Das ist doch alles nur ne Phase, ich muss doch nicht jeden doofen Trend mitmachen, oder? Aber Moment mal, was ist, wenn die anderen doch Recht haben? Was ist, wenn es eben doch besser für mich wäre, nur noch Gemüse zu essen und jeden Tag eine Stunde zu trainieren? Irgendwie spricht in meinem Kopf gerade mein erwachsenes und bedachtes Ich, mit dem Kleinkind, welches schmollend in der Ecke sitzt. Es sind die Situationen, in denen man selbst einfach zwischen den Stühlen steht. Ich stehe zwischen den Erwartungen meiner Umwelt und meinen eigenen Befindlichkeiten. Ginge es nach mir, könnte ich getrost auf der Couch liegen bleiben! Was hab ich denn davon, wenn ich mich jetzt beim Sport verausgabe? Genau, Muskelkater! Der zieht sich bei mir sogar regelmäßig über mehrere Tage, wer braucht denn sowas? Bikinifigur, Sixpack, knackiger Hintern…ach scheiß drauf!
Naja, ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Es gibt Phasen, in denen ich sogar gern zu meinen Laufschuhen greife und eine Runde drehe. Ganz ohne Druck, einfach so, weil ich darauf Lust habe. Ich entscheide selbst, wann ich was tue. Das ist so lange einfach, wie man allein ist. Sobald sich andere Menschen ins Leben schleichen, wird es langsam kompliziert. „Wie, du trainierst nicht zweimal in der Woche? Das muss man schon machen, um in Form zu bleiben!“, „Denk doch mal an später, Hängebrüste und so, da sollte man jetzt anfangen was tun!“… ich könnte massenhaft Beispiele aufzählen, die ich zu hören bekomme. Einen Scheiß muss ich!
Werde ich nicht direkt angesprochen, suggeriert mir Facebook, welche Sportskanonen ich doch in meinem Freundeskreis habe. „Ich bin gerade 5 km in 30 Minuten gelaufen!“, wohooo, juchu, Applaus! Geht mir am Popo vorbei. Zumindest fast. Irgendwie spüre ich schon einen gewissen Druck, den mein Umfeld bei mir verursacht. Irgendwie will ich ja dazu gehören. Ich vergleiche mich. Manchmal zu oft. Dann beneide ich die Marathonläufer und Gewichtestemmer um mich herum. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite die Bewunderung, auf der anderen Seite der Druck, den sie in mir auslöst. Gerade wenn mir Menschen, welche mir nahe stehen, an meinem Lebensstil „herummäkeln“, geht mir das sehr zu Herzen. Doch was sie damit erreichen ist nicht, dass ich mich voll motiviert ins Fitti schwinge, sondern dass mein inneres Kleinkind erwacht. Es stampft mit den Füßen auf, streckt alle Viere von sich und legt sich auf den Boden. „Ich mach garantiert nicht das, was du von mir willst! Kannste alles selber tun, is mir egal. Wenn du mich nicht leiden kannst, dann lass mich doch in Ruhe.“. Ich sag ja, herrlich diese innere Zerrissenheit.
Es ist nicht immer der Sport oder die Ernährung, die unser Gewissen auf eine harte Probe stellt. Es sind oft ganz kleine Dinge. Gerade wenn wir uns in Beziehungen befinden, können kleine unbedacht geäußerte Hinweise, ganz schnell das bockige Kleinkind in uns hervor holen. „Stell die Schüssel dahin, wo sie immer steht!“, eigentlich ein ganz minimaler, nett gemeinter Hinweis. Doch das innere Kleinkind fängt sofort an sich bockig auf den Boden zu werfen: „Wenn du alles besser weißt, mach das doch selbst! Ich bin schon groß, ich kann alleine entscheiden, wo ich die Schüssel hin haben will. Die sieht an dieser Stelle doch viel besser aus!“. Strampelnd bringt sich das innere Kleinkind immer weiter in Rage, bis es so große Wut aufgebaut hat, dass es den eigentlichen Hinweis der Person nicht mehr wahrnehmen kann.
Solche Situationen häufen sich in Beziehungen. Meist merkt der Partner gar nicht, dass seine Aussagen etwas auslösen, was überhaupt nicht beabsichtigt war. Ich fühle mich in solchen Momenten gerne mal bevormundet. Dafür kann mein Partner gar nichts. Es liegt an mir! An mir ganz allein. Das ist mein inneres Kleinkind, was ich nicht im Zaum halten kann. Unbewusst weiß ich nämlich genau, dass mir etwas mehr Sport gut tun würde, dass ich vielleicht doch mal gesünder essen sollte, oder dass die Schüssel eben genau an diesen einen Platz gehört. Aber ich will das nicht von einer anderen Person hören! Ich möchte das Gefühl haben, meine Entscheidungen selbst zu treffen. Da brauche ich schließlich niemanden, der mich anleitet. Und so reagiert mein inneres Kleinkind auf lieb gemeinte Hinweise mit dem Rausstrecken der Zunge und einem trotzigen „Nööööö!“. Es ist sehr schwer, in solchen Situationen als Partner das Richtige zu tun. Wer schon einmal ein Kleinkind im Supermarkt auf dem Boden hat schreien sehen, weiß wovon ich rede. Da ist alles zu spät. Das Einzige, was man tun kann, ist an der Kommunikation zu arbeiten. Bei mir klappt es normalerweise ganz gut, wenn man mir etwas anbietet. Nicht im Sinne von Bestechung, sondern eher: „Wollen wir mal zusammen Sport machen gehen?“. Das lässt mir eine gewisse Entscheidungsfreiheit, ist keine direkte Kritik und macht zumindest den Anschein eines gewissen Spaßfaktors. Mit meinem inneren Kleinkind sollte man umgehen, wie mit einem echten Kleinkind, einfühlsam und bedacht. Manchmal muss man mich vielleicht sogar etwas hinters Licht führen oder bestechen, aber das ist mir in solchen Situationen mehr als recht.