Aus „hier und jetzt“ wird Zukunft – dabei habe ich erst 1/3 meines Lebens gelebt

Befindet man sich in einer frischen Beziehung, hebt man in den eigenen Gedanken oftmals ein wenig ab. Der Hirnschmalz beschäftigt sich dann nicht mehr nur mit dem hier und jetzt, sondern mit der Zukunft. Als Single lebte ich im Moment. Nie plante ich über mehr als 48h hinaus. Wenn ich Montags wusste, was ich am darauffolgenden Samstag tun würde, war das schon sehr weit gedacht. Das ist einer dieser Punkte, der sich durch eine Beziehung ändert. Auf einmal plant man sich Termine schon Monate vorher in den Kalender. Familienfeiern, Geburtstage…alles Anlässe, die ich als Single bewusst vor mich her geschoben habe, da ja immer dieses „wer weiß, welcher Mann da gerade aktuell ist“ im Raum schwebte. Ziemlich unbedarft und frei, kann man das nennen. Seitdem ich mich in einer Beziehung befinde, fühlt es sich so an, als hätte ich mich hingesetzt. Das klingt natürlich ziemlich dämlich, aber ich erkläre es kurz: Das Singleleben strebt nach Erlebnissen, nach Eskalation und Bewegung. So als würde man ständig hinter etwas her oder vor etwas weglaufen. Immer am Limit und nur nicht stehen bleiben. Das was bremst ist der Mann, der plötzlich interessant wird. Man beginnt langsamer zu laufen. Irgendwann bleibt man zusammen stehen. Nun wird es im Stehen irgendwann unbequem und anstrengend, und man setzt sich. Da sitzt man nun, bequem auf seinem Stuhl und dreht den Kopf nach links, dreht den Kopf nach rechts. Während man da so sitzt, lässt man die Gedanken schweifen. Auf einmal ist eine Zukunft greifbar. Plötzlich weiß man schon jetzt, was man in drei Wochen machen wird. Der Blick erweitert sich vom hier und jetzt auf irgendwann dann.  Aus Planlosigkeit wird Planbarkeit

Die Gedanken beschäftigen sich mit der Zukunftsplanung: Job, Kinder, Altersvorsorge. Und wie sie so dahinschweifen, die Gedanken, schütteln mich alte Singlemarotten. „Das soll es schon gewesen sein?“ – hallt es durch meinen Kopf. Wie, was, schon gewesen sein? Es ist doch normal, dass man Ende 20 einen Partner findet, und mit diesem sein Leben verbringt. Naja, normal vermutlich heute auch nicht mehr. Aber in der allgemeinen Vorstellung, ist das eben so. Wenn ich davon ausgehe, dass ich 87 Jahre alt werde, sind das ganze 60 Jahre, die ich auf meinem imaginären Stuhl sitzend, verweilen werde. 60…das sind knapp 2/3 meiner Lebenszeit. Wenn man es so betrachtet, fange ich ja gerade erst an. Ich bin rein vom Alter her gesehen, seit knapp 9 Jahren erwachsen. Das heißt, dass ich noch über 6 mal so viel Zeit habe, um erwachsener und reifer zu werden.

Wieso meint man eigentlich immer, ab 25 Jahren geht’s abwärts? Rein biologisch gesehen, ist das so. Rein biologisch gesehen, ist der Zenit ab 25 überschritten. Jaja, die liebe Biologie! Wenn die nicht wäre, könnte ich locker bis Mitte 40 die Clubs abklappern, feiern, und das Leben genießen. Aber nö, da war ja was: Kinder, Familie und so. Böse Biologie! Schäm dich was! Warum schiebt sie die beste Zeit zum Familie gründen nicht einfach auf 50? Aber das sind Dinge, die sich nicht beeinflussen lassen, damit muss ich leben.

Wenn ich mir die aktuellen Entwicklungen der Gesellschaft so anschaue, denke ich, dass es bald (wenn es nicht schon längst so ist), eine zweite „wilde Phase“ im Leben geben wird. Eine Phase die beginnt, sobald die Kinder aus dem Haus sind und wir unser Leben wieder für uns haben, so um die 50 rum. Dann haben wir wieder die freie Wahl, ob wir weiterhin auf unserem Stuhl sitzen wollen, oder ob uns das ereignisreiche Rennen viel besser gefällt. Wir werden mit 50 Jahren wieder beginnen zu tindern, zu daten, uns neu zu verlieben. Da geht es sozusagen wieder von vorn los. Denn wir haben ja noch Zeit, viel Zeit! Wenn wir noch über 20 Jahre auf unserem Stuhl sitzen bleiben, tut uns sicherlich ziemlich der Hintern weh. Vermutlich denken einige unter euch jetzt: „Wie? Aber da ist doch ein Partner, Ehepartner, mit dem man alt werden möchte.“ – umso schöner, wenn man das möchte! Das sei jedem gegönnt, und darum kann man jemanden schon beneiden. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich meine Generation sehr schnell dazu verleiten lassen wird, wieder aufzubrechen. Neue Dinge erleben, Grenzen testen, weiterentwickeln. Vielleicht ist das eine ganz unrealistische Vorstellung, aber ich werde mit der Vorstellung nicht warm, dass wir „für immer und ewig“ auf unserem Stuhl sitzen werden und unsere Perspektive nur so weit verändern, wie sich unser Kopf drehen lässt.

Junggesellenabschied

Zu dieser Jahreszeit vergeht kein Wochenende, an dem nicht massig Junggesellen- oder Junggesellinnenabschiede durch die Straßen ziehen. Peinlich gekleidet, betrunken und irgendwie bemitleidenswert. Neulich traf ich überraschend in einem Club auf eine alte Freundin. Als Kinder hatten wir gelegentlich zusammen gespielt, weil unsere Eltern befreundet waren. Nettes Mädel! An diesem Abend konnte ich allerdings nur den Kopf schütteln. Sie feierte ihren Junggesellinnenabschied. Diese Tatsache allein reicht noch nicht für Mitleid aus. Als ich jedoch sah mit wem sie feierte, hätte ich ihr am liebsten über den Kopf gestreichelt und gesagt: „Alles wird gut!“. Sie feierte unter Anderem mit ihren Eltern. Was haben Eltern an einem solchen Abend zu suchen?

Natürlich kannte ich die beiden, was mir in dieser Situation nicht unbedingt gelegen kam. „Mensch Jule, wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Wie geht es dir denn? Was machen deine Eltern? Hast du einen Freund?“ – Kreuzverhör unter 3 Promille – auf beiden Seiten. Ich versuchte ein freundliches Lächeln aufzusetzen und die Unterhaltung kurz zu halten „Bei mir ist alles tooootal super, Arbeit: läuft!, Leben: läuft!, Liebe: läuft!“. Dass dem gerade nicht so ist, konnte ihnen egal sein. Spätestens am nächsten Tag werden sich diese Neuigkeiten bis zu meinen Eltern getragen haben, da sollte man aufpassen, was man sagt. Lieber ein: „Ich habe deine Tochter gestern in der Disco getroffen, die war ganz schön betrunken, aber ihr gehts ansonsten super.“ als: „Ich habe deine Tochter gestern in der Disco getroffen, die war ganz schön betrunken. Ich glaube ihr geht es nicht gut, vielleicht hat sie ein Alkoholproblem? So findet sie ja auch nie einen guten Mann. Vielleicht ist sie ja lesbisch? In dem Alter kein Freund und keine Kinder, da ist doch irgendwas schief gelaufen.“ – Lächeln und thumbs up!

Abgesehen davon, dass die bald in Eheketten gelegte „Freundin“ ihre Eltern dabei hatte, durfte ich (leider) auch ihren Zukünftigen kennen lernen, Gaaaaaanz toller Typ!! Wirklich…gaaaaaanz toll! Abgesehen von dem rosa T-Shirt, den Assi-Freunden und dem Alter (irgendwas um die 40).

Du hast es echt geschafft meine Liebe, du hast den Jackpot!

Ich gehe davon aus, dass sie sich lieben, ziemlich wahrscheinlich sogar. In solchen Momenten kann ich aber nicht anders, als drei Kreuze zu machen und mir zu sagen: „Gottseidank bist du Single, du bist so ein Glückspilz, du hast noch die Wahl“.

Genau, ich habe noch die Wahl! Ich kann mich entscheiden: Beziehung, Affäre, Single sein, Lesbisch werden, ins Kloster gehen. Entscheidungen, die ich jeden Tag aufs Neue treffen kann, wenn ich das möchte.

Dieses Pärchen war genauso lange zusammen, wie ich mit meinem Ex. Ich hätte dort ebenfalls stehen können, rosa T-Shirt, alberne Verkleidung. Was hätten meine Mitmenschen gedacht? „Armes Ding, bei ihr ists nun vorbei, vorbei mit dem Rumhuren, vorbei mit langen Partys, jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“. Ich wäre wohl glücklich gewesen, oberflächlich.

Gottseidank hatte ich trotz Beziehung die Möglichkeit mich zu entscheiden. Jeden Tag neu zu entscheiden, ob das das Leben ist, welches ich führen möchte. 7 Jahre lang habe ich die Frage mit „Ja!“ beantwortet. Vor etwas mehr als einem Jahr kam eine Häufung von „Nein!“ dazu.

Es war die richtige Antwort. „Nein!“

Jungesellenabschied – www.ja-hochzeitsshop.de

Ich ließ meine Blicke durch den Club schweifen, entdeckte meine letzte Bettgeschichte, lächelte rüber und dachte: „Was ich alles verpasst hätte, wenn ich hier in Rosa meine Eheschließung gefeiert hätte.“ Es legte sich ein Lächeln auf mein Gesicht.

Alles richtig gemacht!!