Das ist doch Hype von gestern – Was die Schnelllebigkeit mit mir macht

Dieser Artikel erschien zuerst bei der HuffingtonPost. Durch die Abschaltung der deutschen Ausgabe der HuffingtonPost zieht er nun zur Autorin „zurück“

Jeden Tag verbringe ich gefühlte Stunden damit, aktuelle News zu lesen. Ich forste mich von der Zeit, zur F.A.Z. über die Welt, bis zur Süddeutschen. Hinzu kommen diverse Links, die ich durch Teilungen meiner Freunde auf Facebook anklicke. An mir geht keine neue Entwicklung, kein Hype vorbei.

Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, ich würde mich durch diese Informationsflut selbst überholen. Was ich gestern noch als Hip und neu empfand, geht mir durch den stetigen Input der immer gleichen Informationen morgen schon wieder gehörig auf den Geist. Kenn ich schon, hab ich schon, gibt’s nichts neues?

Jim Pandzko als Beispiel für die Schnelllebigkeit des heutigen Hypes

In meiner Jugend, es waren die fantastischen 90er, dauerte es, bis sich ein Hype wirklich durchsetzte. Es dauerte, bis alle ein bunt leuchtendes Jojo besaßen. Es dauerte, bis jeder einmal den neuen Song gehört hatte, der gerade die Charts stürmte. Damals entdeckte ich durch Chartshows neue Musik. Alles ging entspannt seinen Gang, früher oder später. Heute kann ich die Songs, die eine Chart-Platzierung erreichen, schon lange nicht mehr hören. Nehmen wir das Beispiel Jim Pandzko feat. Jan Böhmermann mit ihrem Hit „Menschen Leben Tanzen Welt“. Ich gehörte zu den Ersten, die durch die Mediathek-Ausstrahlung des Neo Magazins Royal in den Genuss dieses wahrhaft künstlerischen Musikstückes kamen. Es dauerte keine zwei Stunden, bis sich meine Timeline mit Pandzkos YouTube-Video füllte. Ich fühlte mich wie im Rausch, während ich das Internet nach Reaktionen zu Böhmermanns Coup durchsuchte. Er trendete auf twitter, erstellte sogar einen eigenen Account, um die Vermarktung des Songs anzutreiben.

Kennst du nicht? Du lebst wohl hinterm Mond

Es war Donnerstag-Abend und ich summte Menschen Leben Tanzen Welt, als wäre es der neueste Michael Jackson Hit. Doch schon am nächsten Tag ging mir das ganze Tara auf die Nerven. Nicht der Song, sondern die vielen Reaktionen darauf waren es, die mir nur ein Augenrollen entlockten. Ja liebe Welt, hast du es auch schon mitbekommen? Da gibt’s ein tolles Lied und so…gähn. Es war nicht einmal 15 Stunden her, dass der Hype begann, für mich war er jedoch schon wieder vorbei. Als ich eine Woche später während einer Party den Musikwunsch „Menschen Leben Tanzen Welt“ äußerte, schaute mich der DJ fragend an. Jim Pandzko? Ham wa nich. Ich war schockiert. Ich unterstellte dem Plattenmann mangelnden Musikgeschmack und wendete mich beleidigt ab.

Für mich waren all diejenigen, die erst Tage später auf diesen Hype stießen, irgendwie hinterm Mond. Die Begeisterung, die Böhmermanns Aktion in den folgenden Tagen auslöste, empfand ich nur noch als öde. Am liebsten hätte ich den Medien, welche nun auch langsam anfingen zu berichten, ein lustloses: „Na ihr seid ja von der ganz schnellen Sorte.“, hinterhergeworfen.

Ich brauche Input, um mich nicht mit mir beschäftigen zu müssen

Ist diese Schnelllebigkeit nicht bedenklich? Erledigt sich ein Hype, braucht es schließlich einen neuen, der die Begeisterung der Menschen herauskitzeln kann. Jetzt ist es vielleicht das Coachella Festival, auf dessen Zug alle möglichen Modelabels aufspringen. Gähn, alte Kamellen, habe ich schon gestern etwas drüber gelesen. Die moderne Gesellschaft braucht stetig Futter, um ihre Geschwindigkeit zu halten. Was soll ich auch tun, während ich mit der Bahn zur Arbeit fahre? Ich schaue auf mein Telefon und brauche Input, damit ich mich nicht mit meinen Mitmenschen beschäftigen muss.

Alle diese Hypes lenken ab von dem, was eigentlich wichtig ist: von uns selbst. Beschäftige ich mich mit den neuesten veganen Körner-Schleim-Getränken, bleibt gar keine Zeit, mir mal Gedanken über mein eigenes Leben zu machen.

Zukunftsvision

Wie sich das wohl in Zukunft entwickeln wird? Brauche ich in ein paar Jahren vielleicht alle 3 Stunden einen neuen Hype, um nicht in Langeweile zu verfallen? Weiß ich in 10 Jahren überhaupt noch, welcher angesagte Fruchtsmoothie gerade Instagram flutet, oder ziehen die Hypes so schnell an mir vorbei, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehme?

Flamingos, Halsbänder, Einhörner, Pokemon Go, Coachella, Bibi und Tina, Influencer Lisa und Lena… oh je, mir ist schon ganz schwindelig.

 

Digitalisierung der Liebe – Warum wir mehr Liebesbriefe schreiben sollten

Seitdem sich die digitale Revolution durch unsere Welt zieht, hat sich so einiges verändert. Gerade was Kommunikation in Beziehungen oder generell in Liebesanbahnungen angeht, ist es kaum vorstellbar, dass es auch einmal anders ging. Ohne Strom, ohne blaue Haken.

Als ich noch die Grundschule besuchte, schrieben wir uns gerne kleine Zettelchen. Wer kennt das nicht: Willst du mit mir gehen? Ja, Nein, Nur Eis essen. Trauten wir uns nicht das Zettelchen persönlich zu übergeben oder durch Mittelsmänner zustellen zu lassen, vertrauten wir auf die Post. Ob der Schwarm unser Anliegen wohl wahrgenommen hatte? Da gab es keine blauen Häkchen, die uns versicherten, dass unsere Botschaft angekommen war. Wir versuchten jeden Blick zu deuten. Wurden wir ausgelacht, oder war das ein verknalltes Lächeln auf dem Gesicht unseres Schwarms? Aufregend! Aus „Willst du mit mir gehen?„-Zettelchen wurden schnell lange Liebesbriefe. Was habe ich mich abgemüht. Schönschrift (überhaupt nicht meine Stärke), ein paar Aufkleber aus dem mühsam getauschten Stickeralbum, ein Spritzer Parfum und natürlich ein roter Umschlag. Ich legte in die geschriebenen Worte meine ganze Seele, manchmal sogar Tränen, große Gefühle.

HDGGGGGGGGDL

Die digitale Revolution erwischte mich mit knapp 12 Jahren. Meinen ersten Freund lernte ich (natürlich) im Internet kennen. Die Telefonrechnung kostete mich jeden Monat mein sehnlich erwartetes Taschengeld. Die Telefonleitung war ständig besetzt, sobald meine Eltern nicht zu Hause waren. „Lass uns lieber unter der Woche chatten, am Wochenende ist das Internet immer so voll und ich komm nicht rein!“ – darüber würde jeder Jugendliche heute lachen. Das erste Handy durfte ich mit 14 Jahren mein Eigen nennen. 160 Zeichen um jemanden seine Liebe zu erklären. Ein „Ich liebe dich“ reichte da nicht aus. Schließlich bezahlte man für 160 Zeichen, also wurden diese ausgefüllt. Mit Belanglosigkeiten, Smileys, oder anderen Späßchen. HDGGGGGGGGGGDL! Je mehr Zeichen man noch frei hatte, um so „ganzer“ hatte man den Adressaten lieb. SMS waren etwas Besonderes. Jedes Aufleuchten des Telefons bedeutete, eine andere Person investierte gerade knappe 20 Cent, um mir etwas mitzuteilen. Auch kostete jede Nachricht Zeit. Vor der Erfindung von T9, musste jeder Buchstabe mühsam einzeln durch wiederholtes Drücken der Tasten ans Licht gebracht werden. Briefe hatten ausgedient. Ab sofort trug man den Schwarm immer in der Tasche. Zumindest so lang die Prepaidkarte aufgeladen war und das Telefon Empfang hatte. Antwortete jemand nicht, nahm man es ihm nicht übel. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Guthaben aufgebraucht war, war einfach zu hoch. Wir überlegten uns 10 Mal, ob diese Nachricht wirklich sein musste.

WhatsApp – Dahingeschluderte Nachrichten

Als Smartphones und die dazugehörigen Flatrates auf den Markt kamen, war es nicht mehr weit her mit der Romantik. Es war nichts besonderes mehr, eine Nachricht zu erhalten. Flatrate, Ramschware, Zeitvertreib. Das Piepsen des Telefons hatte seine Romantik verloren. Der ständige Kontakt kostete nichts, außer Zeit. Doch hier liegt das Problem. Ist man ständig in Kontakt, bleibt keine Zeit, den Anderen zu vermissen. Er ist ja irgendwie immer da, immer nur eine Whats App Nachricht entfernt. Die blauen „gelesen“-Häkchen haben jegliche Spannung entfernt. Sie sorgen nun eher dafür, dass wir uns wahnsinnig machen, wenn wir mal NICHT direkt eine Antwort erhalten. Was früher alle 3 Tage eine teure SMS war, sind heute alle 3 Minuten eine dahingeschluderte Nachricht. Ein Smiley, ein Daumen nach oben, das war’s.

Wir schweigen uns an und starren auf unsere Telefone

Wir kommunizieren 24/7 mit unserem Umfeld, sind ständig erreichbar. Doch über was reden wir mit unserem Partner, wenn wir über den Tag doch sowieso schon jedes kleine Detail schriftlich mitgeteilt haben? „Trinke gerade einen ekeligen Bürokaffee und bin müde„, „Kann gerade nicht, habe sehr viel zu tun, aber ich leide mit dir„. So vertreiben wir uns den langweiligen Arbeitstag mit Kommunikation. Das ist toll und macht Spaß. Doch über was reden wir zu Hause am Küchentisch? Da ist nichts neues mehr, nichts was unser Partner nicht schon wüsste. So schweigen wir uns an, und starren auf unsere Telefone. Eigentlich läuft unser Leben schriftlich ab. Und jeder ist darüber informiert. Alles beschleunigt sich.

Mensch abgehakt, hat nicht gepasst

Heute wissen wir oft schon nach wenigen Stunden, ob der neue Kontakt, den wir zu Beginn so interessant fanden, wirklich so interessant ist. Einfach ein, zwei Stündchen hin und her schreiben, fertig. Mensch abgehakt, hat nicht gepasst. Wir lassen uns keine Zeit mehr. Vielleicht braucht es das Kennenlernen ja, das Warten. Wartet man, hat man Zeit. Zeit sich über sich selbst klar zu werden. Was will ich eigentlich? Was finde ich interessant an meinem Gegenüber? Stattdessen hetzen wir von Kontakt zu Kontakt, um ja keine Zeit zu verlieren. Wir tauschen eine Zeile Text gegen einen Smiley. Wo ist die gute alte Briefromantik geblieben? Seiten voll mit Gefühlen und Bekenntnissen. Alles ersetzt durch ein gelbes Gesicht mit Herzchen in den Augen. Wir sollten lernen wieder zu warten, unserem gegenüber Zeit zu geben, um Gedanken und Gefühle zu formulieren. Doch heutzutage sehen wir zwei blaue Häkchen und stempeln eine zu langsame Antwort als Desinteresse ab.

Briefpapier rauskramen und Schönschrift üben!

Vielleicht sollten wir uns im Zuge des anstehenden Winters auf die „gute, alte Zeit“ besinnen und Zettel und Stift hervorkramen. Zeit hat man schließlich genug, wenn es draußen stürmt und schneit. Geschriebene Worte, in unserer eigenen Schriftart. Krumm und schief, wie wir es nun einmal auch manchmal sind. Persönlichkeit auf Papier, anstatt Smileys, die die ganze Welt benutzt. Zeigen wer wir sind, und was wir für jemanden fühlen. Ganz ohne Bits und Bytes, ganz ohne HDGDL und ILD. Für die ganz digitalisierten unter euch: das Porto für einen Standardbrief beträgt aktuell 0,70 €. Ich bin gerade selbst schockiert, dass ich das googlen musste. Wird wohl für mich auch wieder Zeit, das alte Briefpapier raus zu kramen und mich in Schönschrift zu üben.