„Das Grüne, oder das Blaue?“, frage ich mich in Gedanken. Vor einem großen Kleiderständer stehend halte ich zwei Kleidchen in der Hand. Grün oder Blau, grün oder blau. Um mir die Entscheidung zu erleichtern, zähle ich leise meine schon vorhandenen Kleider durch und werte aus, welche Farbe denn nun noch im Schrank fehlen würde. Doch zu einem Ergebnis komme ich nicht.
Ich muss mich für die beste Variante entscheiden, aber weiß nicht, welche das ist. Traurig hänge ich beide Teile wieder an den Verkaufsständer zurück. Noch während ich den Laden verlasse herrscht Chaos in meinem Kopf. Das blaue Kleidchen war ja doch irgendwie ganz schön. Je weiter ich mich vom Geschäft entferne, desto intensiver wird das Gefühl, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Jetzt reiß dich aber mal zusammen Jule! Du bist doch keine 12 mehr. Ich atme tief durch und erinnere mich daran, dass ich was Entscheidungen fällen betrifft, eigentlich sehr konsequent bin. Da ist es egal, ob es sich um den Kauf eines Kleidchens handelt, oder um die Liebe. Entscheide ich mich für eine Person, stehe ich komplett dahinter. Auch wenn ich mich gegen eine Liebe entscheide, bereue ich es nicht. Was nicht ist, das ist nicht, lautet mein Motto. Leider scheint die Entscheidungsfindung bei anderen Menschen grundlegend anders zu verlaufen. „Ich will nichts von dir“, kann sich innerhalb kürzester Zeit in „Eigentlich will ich doch was von dir“ verwandeln. Das ist in meinem Umfeld leider an der Tagesordnung.
In ihrem Kopf ist zu viel Disney los
„Eigentlich weiß ich doch, dass der Junge gut für mich wäre. Wenn ich es aus heutiger Sicht betrachte, habe ich vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen.“, gestand mir meine beste Freundin, während wir an unserem Bier nippten. Verträumt starrten wir in Richtung des Herren, um den sich unser Gespräch drehte. Erst als er fragend in unsere Richtung blickte, versuchten wir hastig nicht wie Stalker zu wirken. Schon als die beiden sich kennenlernten war ich mir ziemlich sicher, dass sie ein wundervolles Paar abgeben würden. Das passte einfach. Doch meine liebe beste Freundin ist eben etwas schnell, wenn es um die Unterscheidung von „werde ich später heiraten“ und „geht mir am Popo vorbei“ geht. In ihrem Kopf ist einfach zu viel Disney los. Liebe auf den ersten Blick, eine Schmetterlingzucht im Bauch, und das ganz große Glück, spielen dort die Hauptrolle. Was hat da ein Kerl zu suchen, der erst auf den zweiten Blick interessant scheint? Passt nichts, abgehakt. Okay, ich musste also akzeptieren, dass es einfach nicht sein sollte. Doch je mehr Zeit verging, desto unsicherer wurde sich meine Freundin in ihrer Entscheidung.
Jemanden gehen lassen ist keine leichte Angelegenheit
„Ich will immer das, was ich nicht haben kann.“, betrifft leider ganz viele Menschen. Auch meine Freundin realisierte ihr Interesse an dem eigentlich abgeschriebenen Mann erst, als er sich demonstrativ von ihr abwand und ihr das Gefühl gab, sie würde ihm am Popo vorbei gehen. Da scheint ein Schalter im Hirn zu sein, der plötzlich umgelegt wird. In meinem Kopf scheint der liebe Gott diesen Schalter vergessen zu haben. Vorbei ist vorbei. Durch ist durch. Was will ich mit jemandem, gegen den ich mich aus vermutlich guten Gründen entschieden habe? Ich glaube viele Menschen haben ein Problem mit dem Loslassen. Jemanden gehen zu lassen, auch wenn man ihn ganz gerne mag, ist keine leichte Angelegenheit. Vielleicht könnte man denjenigen ja doch nochmal gebrauchen irgendwann? Die einsamen Nächte kommen bestimmt, in denen es gut tut, auch „abgelegtes Material“ wieder aufzuheben. Ich drücke das bewusst so abwertend aus. Denn diejenigen, die urplötzlich wieder in das Blickfeld der nicht loslassen könnenden wandern, fühlen sich wie Spielbälle. Spielbälle, die nur bei gutem Wetter aus der Kiste geholt werden, und danach wieder dorthin verschwinden. Entscheidet man sich gegen einen Menschen, sollte man sich bewusst sein, dass dieser Mensch nicht mehr die Rolle im Leben einnimmt, die er vorher innehatte. Und das ist gut so. Jemanden loszulassen tut weh, aber schafft Freiraum für Neues.
Liebes Kleidchen, aus uns wird leider nichts
Umso länger ich durch die langen Gänge des Einkaufszentrums flaniere, desto seltener muss ich an das hübsche blaue Kleidchen denken. Es war ein schönes Kleid. Aber ich konnte mich nicht darauf festlegen. Auch wenn ich die genauen Gründe nicht definieren kann, fehlte irgendwas. Mein Herz und mein Bauch haben sich dagegen entschieden. Das muss ich akzeptieren, auch wenn ich in manchen Momenten trotzdem gerne umdrehen würde, um mir und dem Kleid eine zweite Chance zu geben.