„Am Anfang schien sie noch ganz normal.“ – wie oft habe ich das von Männern gehört, die partout nicht merken wollten, dass sie eine Psychopathin an ihrer Seite hatten. Was ist es, das die Herren so blind für das Augenscheinliche macht?
Ich mag nette Männer. Ich mag die Jungs, die mir die Tür aufhalten, mich zu einem Getränk einladen, und sich wirklich für meine Gefühle interessieren. Geht es nach mir, sind das die Männer, mit denen man ein ganzes Leben verbringen könnte. Sie sind nicht die großen Helden, die sich nach dem Sieg über einen Drachen auf die Brust klopfen, aber sie können guten Rotwein von schlechtem unterscheiden. Eines wurde mir jedoch schmerzlich bewusst: Solche Männer interessieren sich nur für Frauen, die so richtig einen an der Waffel haben. Frauen, die als Hobby „mein Therapeut“ angeben könnten. Den Herren ist zu Beginn einer Beziehung jedoch gar nicht bewusst, was für eine Dame sie sich da wieder geangelt haben.
„Am Anfang schien sie noch ganz normal. Da präsentiert doch eh jeder nur die guten Seiten seiner Persönlichkeit“, erzählte mir ein Leser, mit dem ich mich spontan zu einem Bier verabredet hatte.
Psychoterror, Polizeinotrufe, das alles unter dem Deckmantel der Liebe
Die Geschichte, die daraufhin folgte, ließ mich schlucken. Ich hörte die Erzählung über eine komplett verkorkste Beziehung. Psychoterror, Polizeinotrufe und Vertrauensbrüche säumten den Liebesweg dieser zwei Menschen. Ich konnte nichts anderes tun als zu nicken, da mir die Worte fehlten. Ständig gingen mir die gleichen Dinge durch den Kopf: „Wer macht so etwas mit? Und warum? Warum ist er nicht einfach gegangen?“. Nachdem mir mein Gegenüber ausführlich erklärt hatte, welche psychischen Störungen seine Ex-Freundin aufwies, konnte ich mich langsam aus meiner Gedankenwelt lösen.„Es gab auch gute Momente!“, ließ mich dann richtig aufschrecken. Dieser Satz kam mir irgendwie bekannt vor. Wo hatte ich ihn schon einmal gehört? Heimlich kramte ich in der Erinnerungsbox meines Gehirns, bis ich einen Treffer landete. Ich dachte an Mathias.
„Es gibt auch gute Momente!“
Mathias ist ein sehr guter Freund von mir, der mir zum ersten Mal klar machte: Auch Männer können blind vor Liebe sein. Das Herzblatt, welches er seit einigen Monaten seine Freundin nannte, war komplett wahnsinnig. Ramponierte Türen und blaue Flecken waren nur einige Symptome, die sich durch die Beziehung schleppten. Warum er sich das alles antat, fragte ich ihn jedes Mal wieder, während er mir die neuesten Horrorgeschichten seiner Beziehung erzählte.„Es gibt auch gute Momente!“, antwortete er mir zurückhaltend. Ja, es waren die Momente, in denen alles nach der Nase seiner Freundin lief. Die Momente, in denen das Geld locker saß und er nur nickend neben ihr her lief. Ein besserverdienender Hund sozusagen. Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Am liebsten hätte ich diese Frau an den Haaren aus der gemeinsamen Wohnung gezogen. Doch er hätte sie festgehalten. Irgendwas an ihr trug dazu bei, dass er sie nicht gehen lassen wollte.
Helfersyndrom, oder was?
Aber was ist es, das diese Männer an den Frauen finden, die eigentlich in eine psychologische Anstalt gehören?„Helfersyndrom, oder was?“, entfuhr es mir, als mein Leser kurz mit seinen Erzählungen pausierte, um sich einen Schluck Rostocker Pils zu genehmigen. Er schaute mich stumm an, so als hätte ich ihn bei irgendetwas erwischt.„Helfersyndrom? Da könntest du Recht haben.“, entgegnete er mir. Bis dahin dachte ich, dass vor allem Frauen unter dem sogenannten „Helfersyndrom“ leiden würden, aber anscheinend ist es nicht auf ein Geschlecht beschränkt.„Ich fand es gut, dass ich ihr helfen konnte. Ich habe ihr Leben irgendwie besser gemacht.“, erkannte mein Gegenüber. Er hatte sich einfach gut dabei gefühlt, etwas für einen Menschen tun zu können, der sich selbst nicht mehr zu helfen wusste. Dass er dadurch nicht nur viel Energie, sondern auch Freunde und Geld verlor, machte sich erst zum Schluss bemerkbar. Die Hoffnung, dass die Hilfe zum gewünschten Ziel, einer stabilen und glücklichen Beziehung führen würde, war einfach zu stark.
Bedingungslose Liebe, aber nur unter der Bedingung dass…
Warum sich diese Männer nicht einfach aus der Beziehung gelöst haben, um eine Frau zu finden, die weniger Energie kosten würde? Die psychisch gestörte Freundin hat ihnen, auch wenn man es nicht glaubt, etwas zurückgegeben. Solange diese Herren den Wünschen der Frauen entsprochen haben, wurden sie mit Liebe überschüttet. Mein Bierdate erwähnte, dass er vorher noch nie so geliebt worden war. Von einem Menschen intensiv geliebt zu werden, seien es auch nur kurze Momente, kann wie eine Droge wirken. Das Gefühl gebraucht zu werden und der Mensch zu sein, auf dem eine andere Person ihr Leben aufbaut, scheint die Bindung daraufhin noch weiter intensiviert zu haben. Das kann ich sogar nachvollziehen. Vielleicht haben diese Männer vorher nie eine Beziehung führen können, in der Liebe im Spiel war? Sie haben möglicherweise nicht gelernt wie es sich anfühlt, bedingungslos geliebt zu werden. Wir können schließlich nur auf unseren Erfahrungen aufbauen. Erst durch sie wissen wir, was gut oder schlecht für uns ist. Ich habe lange überlegt, wie ich Männern helfen könnte, die immer wieder an psychisch gestörte Frauen geraten. Es war ein deprimierender Schluss, zu dem ich kam: Man kann ihnen nicht helfen. Solange sie nicht selbst erkennen, dass die Frau an ihrer Seite nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Partner zerstört, kann man reden und Ratschläge geben, bis man blau anläuft. Das Schlimme ist, dass psychisch gestörte Frauen nach einer Beziehung oftmals psychisch gestörte Männer hinterlassen, welche anschließend an nette Frauen mit Helfersyndrom gelangen. Es ist ein Teufelskreis.