„Ich bin ein emotionaler Krüppel!“ – Diesen Satz höre ich in letzter Zeit vermehrt von den Herren, mit denen ich zu tun habe.
Ich lerne sie oberflächlich kennen, sehe ihre Stärken und ihre Schwächen. Umso tiefer ich in ihre Seele blicken darf, desto wertvoller und wundervoller erscheinen mir diese Männer. Manchmal schaue ich sie verträumt an, sehe sie lachen und denke mir: „Wenn du wüsstest, wie toll du bist! Wenn du wüsstest, was ich in dir sehe!“. Wird unsere Verbindung jedoch enger, suchen die Männer einen „Ausweg“, um sich nicht noch weiter öffnen zu müssen. „Ich bin ein emotionaler Krüppel, du kannst von mir nichts erwarten!“ – Eat that! Als Totschlagargument kann man das bezeichnen! Was will ich so einer Aussage entgegen stellen?“Nein, stimmt doch gar nicht!“ – hilft da wenig. Ich nehme es also hin.“Emotionaler Krüppel“ – diese Formulierung schwirrt mir so oft in meinem Kopf herum. Ich möchte sie für mich definieren, eine Erklärung finden, wie jemand dazu kommt, sich als so etwas zu bezeichnen.
Traurigkeit und Resignation
Was ist ein „Emotionaler Krüppel“? Ist das eine Person, welche keine Emotionen empfinden kann? Nein! Die Männer, die mir so etwas sagten, hatten tiefe Emotionen. In ihren Augen sah ich Traurigkeit und Resignation. Es waren kleine Momente, in denen die Maske fiel. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Situation, in der ich mich mit einer Affäre stritt. Er hatte mich schlecht behandelt, und ich lag daraufhin weinend in seinem Bett. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, so wütend und verletzt war ich. Er strich mir über die Wange und bemerkte die Tränen in meinem Gesicht. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihm nicht klar, wie nah mir das Ganze ging. Ihn durchfuhr ein Schauer, eine kleine Explosion, etwas schwer zu beschreibendes, was plötzlich sein Herz öffnete. „Ich weine auch manchmal, ziemlich oft sogar.„, gestand er mir. Ich drehte mich zu ihm und sah in seine feuchten Augen. Das sonst dauerhafte Lächeln war verschwunden, plötzlich zeichnete eine Ernsthaftigkeit sein Gesicht.
Ein „Emotionaler Krüppel“ ist also vermutlich jemand, der seine Emotionen unterdrückt, oder überspielt.
„Emotionale Krüppel“ entstehen durch tiefe Verletzungen
Wie wird man zu einem „Emotionaler Krüppel“? Ich kann hier nur Vermutungen anstellen, die ich aus den beiläufigen Erzählungen der Männer ziehe. Meistens waren es Herren, die eine längere Beziehung hinter sich hatten. Sie glaubten die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Wie oft sah ich Fotos aus ihrer Vergangenheit: Verliebte Blicke, Urlaub am Meer, gemeinsame Feiern. Diese Männer waren angekommen. Nur hielt die Beziehung verschiedenen Faktoren nicht stand. Seien es verschiedene Lebenswege, oder verschiedene Lebensweisen gewesen. Es waren nie große tränenreiche Trennungen. Kein Rosenkrieg, wie man es normalerweise annimmt. Diese verflossenen Frauen haben tiefe Spuren in den Herzen der Männer hinterlassen. Manchmal so tief, dass es keine andere Frau schafft, ihre eigenen Abdrücke zu hinterlassen.
Ihr Lachen ist Fassade
Aufgefallen ist mir, dass sich diese Männer in einer Sache sehr ähnlich sind. Sie sind ungemein selbstbewusst. Betreten sie einen Raum, liegt die Aufmerksamkeit sofort bei ihnen. Ihr Lächeln lässt andere Menschen strahlen. Sie wirken mit sich im Reinen. Ihre Ausstrahlung hat eine enorme Anziehungskraft auf Frauen. Auch mich ziehen solche Männer an wie Magneten. Viel Spaß kann man mit ihnen haben, so lange man nicht zu sehr an der Fassade kratzt. Man bleibt nur an der Oberfläche. Bei mir lösen solche Männer oft Gedanken aus wie: „Ich helfe dir mit deinen emotionalen Problemen klar zu kommen. Wir schaffen das gemeinsam.„. Das ist für mich eine innere Motivation, der ich mich nur schwer entziehen kann.
Verletzungen begleiten unseren Lebensweg
Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Niemand geht seinen Lebensweg ohne Schrammen. Mir stellt sich nur die Frage: Sollten wir die Menschen, die unsere Narben sehen, von uns fern halten? Sie mit den Verursachern vergleichen? Ich versuche das nicht zu tun. Jeder Mensch ist wundervoll, mit all seinen Wunden und Narben. Kein Mensch, welchen ich kennenlerne, kann etwas für das, was andere Menschen vor ihm getan haben. Jeder hat somit die Chance verdient zu versuchen, die Wunden zu heilen und die Narben verschwinden zu lassen. Ein „Emotionaler Krüppel“ ist für mich jemand, der nicht weiß, wie man seine Wunden und Narben behandeln kann. Er sollte sich nach der richtigen Medizin umschauen. Manchmal ist das nicht die „Schulmedizin“, sondern etwas, was neu ist, ungewohnt.
Wunden, die jemand in uns hinterlassen hat, sind heilbar. Wir müssen uns nicht zum „Krüppel“ machen lassen. Es braucht nur die richtige Medizin.