Die Depression scheint sich wie ein Virus in meiner Generation zu verbreiten

Dieser Artikel erschien zuerst bei der HuffingtonPost. Durch die Abschaltung der deutschen Ausgabe der HuffingtonPost, zieht er nun zur Autorin „zurück“

Ist man regelmäßig in Berlin unterwegs, wird man sofort wissen, was gemeint ist, wenn am Bahnhof die Durchsage „Polizei- und Notarzteinsatz“ ertönt. Dann hat sich wieder einmal jemand vor den Zug geschmissen. Sich das Leben genommen, indem er sich von einem tonnenschweren Gefährt hat überrollen lassen.

Was Menschen dazu bewegt, diesen Ausweg zu wählen, erschloss sich mir nicht, bis ich vermehrt auf eine Krankheit stieß: Depression. In meinem Freundeskreis gibt es mehrere Fälle von Depression. Von außen betrachtet trifft sie ganz normale Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und über meine schlechten Witze lachen. Doch was niemand sieht, sind die dunklen Gedanken, die sie Tag für Tag quälen.

Ein Suizidversuch riss mich aus meiner Freude-Freude-Eierkuchen-Welt

Wie weit verbreitet Depressionen wirklich sind, ahnte ich nicht. Meine Friede-Freude-Eierkuchen-Welt begann langsam zu bröckeln, als ich von dem Selbstmordversuch eines Freundes erfuhr. Es war kein entfernter Bekannter, sondern einer der Freunde, mit denen ich normalerweise die Wochenenden auf Partys verbringe. Plötzlich wollte sich diese Frohnatur von der Welt verabschieden. Einfach so, ohne für mich erkennbaren Grund. Trotz Job, guter familiärer Beziehungen und einem stabilen Freundeskreis, hielt er es mit seinen dunklen Gedanken nicht mehr aus. Kurz darauf stellte sich heraus, dass er nicht der Einzige aus meinem Umfeld war, der mit solchen gravierenden psychischen Problemen zu kämpfen hatte.

Das, was mir meine an Depression erkrankten Freunde regelmäßig beschreiben, klingt nach Höllenqualen. Dunkle Geister, die dafür sorgen, dass sie es nicht einmal mehr aus dem Bett schaffen. Gezwungen über Tage an die Decke zu starren, weil der Körper nicht mehr dazu in der Lage ist, richtig zu schlafen. Gefangen in den eigenen Gedanken, die wie eine Spirale immer mehr ins Negative kreisen. Das, was die Betroffenen dabei fühlen, ist nicht einmal Schmerz oder Verzweiflung, es ist schlimmer: Sie fühlen nichts.

Es sind besonders die jungen Männer der GenY, die in ein emotionales Loch fallen

Die Anzahl an Menschen, die mir von dunklen Gedanken erzählen, die sie nicht nur in schlechten Momenten quälen, sondern tagtäglich, wächst stetig. Die Depression scheint sich wie ein Virus in meiner Generation zu verbreiten. Ich dachte immer, es wäre normal, dass man ab und zu schwierige Phasen hat, aber das was viele meiner Generation durchmachen, hat nichts mehr mit einer Phase zu tun.

Laut verschiedener Studien beträgt der prozentuale Anteil aufgetretener schwerer Depressionen über alle Altersgruppen hinweg 8,3 Prozent. Besonders betroffen sind Frauen (insgesamt 11,2 Prozent), die besonders im Alter von 40 bis 49 Jahren mit dieser Erkrankung zu kämpfen haben (14 Prozent). Obwohl Männer nicht so anfällig für diese Art der psychischen Störung zu sein scheinen, fällt eines auf: Sie erreichen die höchste Rate an depressiven Erkrankungen im Alter von 18 bis 29 Jahren (6,6 Prozent).

Die Studienergebnisse stützen meine Beobachtungen. Es sind gerade die jungen Männer in meinem Umfeld, die in ein emotionales Loch fallen. Dabei stehen sie doch noch am Anfang ihres Lebens, sollten motiviert sein und vor Energie nur so sprudeln.

Wir sind doch keine Maschinen!

Was ist es, das uns so kaputt macht? Was sorgt dafür, dass wir unseren Kopf vor lauter quälender Gedanken kaum noch tragen können? Es ist nachgewiesen, dass die GenY ein höheres Risiko trägt, eine depressive Störung auszubilden, da die auslösenden Faktoren meine Generation besonders betreffen. Das immer schneller werdende Leben um uns herum führt zu Überforderung, der dadurch entstehende Stress kann in Kombination mit Faktoren wie einer Trennung oder einem Verlust enorme Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. Schon jetzt bestätigen die aktuellen Statistiken der Krankenkassen, dass besonders die Generation Y aufgrund depressiver Erkrankungen arbeitsunfähig geschrieben wird.

Es wird ebenfalls davon ausgegangen, dass sich dieser Trend fortsetzt und auch unsere nachfolgenden Generationen immer mehr zu psychischen Erkrankungen neigen werden. Wen wundert das? Aus meiner Sicht ist allein der immer schneller werdende Alltag Grund genug, um unter der Belastung zusammenzubrechen. Sind Menschen dafür geschaffen mindestens 16 Stunden am Tag zu funktionieren? Nein.

Wir verkommen mehr und mehr zu Maschinen, die durch den Alltag rattern. Da wundern wir uns, dass irgendwann das Getriebe kaputt ist? Man nennt Psychologen nicht umsonst auch “Seelenklemptner”. Das was in uns kaputt geht, damit eine Depression entstehen kann, muss repariert werden.

Es kann jeden von uns treffen

Sich in diesen Situationen Hilfe zu holen, gilt leider oft als Schwäche. Die eigenen Probleme nicht mehr hinzubekommen, das gibt keiner gerne zu. Wir sind doch die Generation, die alles schaffen kann, der kein Berg zu hoch ist, kein Weg zu weit. Unsere mögliche Schwäche wird nur belächelt. Es fehlt der Gesellschaft an Verständnis. Ich habe Arbeitskollegen gesehen, die kurz nach dem Tod eines engen Familienmitglieds wieder auf der Arbeit erschienen, weil sie so dringend gebraucht wurden. Auch nach Beziehungstrennungen gehen viele von uns dazu über, durch Ablenkung Schmerz zu verdrängen.

All dieses seelische Leid stapelt sich irgendwo in uns, bis es an den Punkt kommt, an dem es einfach raus muss. Plötzliche Zusammenbrüche und Hilflosigkeit folgen. Es kann jeden von uns treffen. Jeder von uns kann irgendwann am Bahnsteig stehen und mit dem Gedanken spielen, die nächste Bahneinfahrt nicht zu überleben. 10 – 15% der depressiv Erkrankten sterben durch Suizid.

Unser Erfolg hat seinen Preis

Von außen mag die Generation Y selbstbewusst und unerschütterlich wirken. Schaut man jedoch genauer hin, blitzen Überforderung und Verletzlichkeit hervor. Nur weil wir gefühlt schneller und produktiver sind als die Generationen zuvor, heißt das nicht, dass diese Entwicklung ohne Nebenwirkungen auskommt. Unser Erfolg hat seinen Preis. Wir müssen frühzeitig erkennen, wenn etwas mit uns oder unserem Umfeld nicht stimmt. Wenn wir diese schwierigen Situationen annehmen, versuchen zu verstehen und Schwäche zulassen, haben wir die Chance Wege zu finden, die aus der Spirale dunkler Gedanken führen.

Auch wenn es der Gesellschaft an Verständnis mangelt, sind wir doch diejenigen, die in diesen Momenten füreinander einstehen müssen. Das Wichtigste ist: Hilfe suchen, wenn erste Symptome auftreten! Eine Depression ist kein Schnupfen, sondern eine ernsthafte Erkrankung. Umso schneller sie behandelt wird, desto höher sind die Heilungschancen.

Hier gibt es Hilfe

Die Telefonseelsorge ist unter der Rufnummer (08 00) 111 0 111 sowie (08 00) 111 0 222 oder 116 123 rund um die Uhr zu erreichen. Beratung via Chat, Mail und vor Ort: https://www.telefonseelsorge.de

Eine Online-Beratung für Kinder und Jugendliche bietet: https://www.nummergegenkummer.de

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat ein Info-Telefon Depression eingerichtet. Erreichbar unter (08 00) 33 44 5 33 am Mo., Di. und Do. 13-17 Uhr sowie Mi. und Fr., 8.30–12.30 Uhr

Ambulante Behandlung in dringenden medizinischen Fällen: Ärztlicher Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen, telefonisch erreichbar unter 116 117 (rund um die Uhr)

Meldung von lebensbedrohlichen Notfällen: Rettungsdienst, telefonisch erreichbar unter 112 (rund um die Uhr)

 

Die 20-Something Depression

Knapp 2 Jahre ist es her, dass ich das erste Mal in eine altersbedingte Sinneskrise fiel. An meinem 25. Geburtstag wurde mir bewusst, was ich alles NICHT erreicht hatte.

Wird man erwachsen, formen sich im Kopf Zukunftsvorstellungen, auf die man sehnsüchtig blicken kann. Ich glaube bei mir war das mit ca. 18 Jahren der Fall. Ich wusste ziemlich genau, wo ich mal mit 25 stehen möchte. Mindestens verlobt, studiert, fest im Job-Sattel sitzend. So wollte ich mit 25 sein, darauf arbeitete ich hin. Die Chancen standen nicht schlecht, begann ich doch gerade erst ein spannendes Studium. Auch der passende Partner war da, so dass ich eigentlich nur streng gerade aus laufen musste, um auf dem schnellsten Weg ans Ziel zu gelangen. Es wäre so einfach, wenn das Leben einer geraden Straße gleichen würde. Einfach, aber vermutlich auch ziemlich langweilig, oder? Mein Weg begann jedoch schnell ein paar Kurven einzuschlagen. Da war das Studium dann doch nicht so motivierend wie gedacht und schon bog ich kurz vom Lebensweg ab. Gottseidank nahm ihn nur eine kleine Umleitung, die mich schlussendlich trotzdem auf den Karriereweg führte. Nochmal Glück gehabt, Plan nicht in Gefahr, dachte ich.

Mein 25. Geburtstag machte mich zum Single

Doch da war ja noch die Liebe, welche bekanntermaßen nicht vorhersehbar ist. „Wenn er mir bis 25 keinen Antrag gemacht hat, muss ich mich wohl trennen.“, sagte ich mit Anfang 20 einer guten Freundin. Eigentlich, war es eher scherzhaft gemeint, trotzdem schon ein Fünkchen Wahrheit in diesen Worten steckte. Wir wären dann schließlich 7 Jahre zusammen, da kann man sich schon mal „trauen“. Trotzdem diese „Drohung“ kaum ernst gemeint war, war es genau mein 25. Geburtstag, welcher mich zum Single machte. Ich war unzufrieden. Ich war nicht mehr glücklich. Mir das einzugestehen fiel schwer, sehr schwer sogar. Doch meine Gefühle hatten sich schon längst so weit entfernt, dass ich um eine Trennung nicht mehr herum kam. Da stand ich nun, am ersten Zielpunkt meines geplanten Lebensweges. Ich stand dort allein. Abgesehen von der mehr oder weniger vorhandenen Karriere, hatte ich meine Zukunftsvorstellungen nicht umsetzen können. Es fühlte sich an, als wäre ich vom Einkauf heimgekommen und hätte von meiner Einkaufsliste nur eine Zutat besorgt, anstatt mit vollen Tüten die Treppe hochzugehen. Leer fühlte sich das an, so als hätte ich mein halbes Leben auf der Strecke vergessen. Nach jedem Tief kommt bekanntlich ein Hoch und so schaffte ich es, mich zumindest überwiegend wieder aufzurappeln, und wenigstens den Karriereweg straight gerade aus zu bestreiten. Doch umso älter man wird, desto öfter blickt man zurück. Ich blickte zurück, als ich 26 wurde, ich blickte zurück, als die 27 auf meinem Geburtstagskuchen prangte. Es machte mich immer trauriger. Wieder ein Jahr vergangen und so gut wie nichts erreicht.

Wenn’s kein Mann wird, dann eben ne Katze

Allein die Familienplanung, rückt in weite Ferne. Zumindest kaufte ich mir erstmal eine zweite Katze. Dann hab ich wenigstens etwas, um das ich mich kümmern kann und auf das ich zurück blicke, wenn die böse 28 auf mich zurollt. „Wenn ich nächstes Jahr immer noch Single bin, dann wird’s kein Mann, sondern ne Katze.“, sagte ich 2015 zu meiner besten Freundin. Ich hatte gehofft, um die Anschaffung herum zu kommen.

Es ist komisch, aber mit jedem Tag, jeder Woche und jedem Monat, der ins Land geht, fühlt sich mein Lebensweg sinnloser an. Er ist Alltag, alles ist schon mal da gewesen. Jedes kurze Glück streift vorüber und wird wieder eingeholt von langen, langweiligen Arbeitstagen. Da fehlt irgendwie der Sinn. Da fehlt irgendwie die Zukunftsperspektive. Soll das jetzt ewig so weiter gehen? Da kann ich befördert werden bis ich blau anlaufe, ich komme trotzdem abends allein nach Hause, gehe ins Bett und wiederhole mich täglich. Einziger Lichtblick sind aufregende Wochenenden, welche aber enorm an meinen Energiereserven zehren.

Hätte ich es besser machen können?

Ist es Fluch oder Segen, sich mit den Jahren nach dem Sinn zu fragen? Jeder Blick zurück raunt mir entgegen, ich hätte es anders, ich hätte es besser machen können. Wo könnte ich schon stehen, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte? Ich sehe so viele Menschen heiraten, Kinder bekommen, einen Sinn im Leben finden. Und was mache ich? Ich schaue mir bis in die Nacht hinein Reportagen darüber an, dass ich, falls ich denn mal Kinder wollen würde, mich mal beeilen sollte. Wird ja alles nicht besser mit der Biologie und so. Dann denke ich an die Frau, die in dieser Reportage vorkam. Über 40, Single, kinderlos. „Ich habe einfach den perfekten Moment verpasst. Entweder war da der falsche Partner, oder gar kein Partner.“. Prost Mahlzeit, denke ich mir und würde am liebsten eine Flasche Wein aufmachen. Ist das meine Zukunft? Verbittert und allein sein? Es ist eine Sinneskrise, die viele Frauen in meinem Alter ereilt. Man glaubt gar nicht, wie so etwas an den Nerven zerren kann. Vielleicht wird das ja mit 30 besser? Vielleicht hat man sich dann damit abgefunden, dass es nun mal so ist, wie es ist? Abfinden ist so unschön! Sinn finden, wäre mir um einiges lieber.