Ich bin eine Besserwisserin. Geht es um die Liebe, glaube ich, jedem einzelnen meiner Single-Freunde in kürzester Zeit zu einer erfüllten Beziehung verhelfen zu können. Verhalten X abstellen, Charaktereigenschaft Y ausbauen und natürlich ein kleines Stückchen Selbsterkenntnis, voila, die große Liebe kann kommen. Wie erfolgreich ich damit bin? Würde ich für jeden glücklich vermittelten Single eine Prämie bekommen, wäre mein Konto ziemlich leer. Erfolgsquote gleich 0. Aber wie kann das sein? Jede freie Minute beschäftige ich mich mit der Liebe. Ich ergründe ihre Entstehung und analysiere Faktoren, die ihr entgegenstehen. Bindungstheorien, wissenschaftliche Studien, all das schwirrt in meinem Kopf herum. Geht es um die Theorie, kann mir wohl kaum jemand etwas vormachen. Nur die Praxis, mit der tue ich mich schwer.
Ich pauschalisiere meine Lösung für die Probleme der anderen
Wie oft habe ich versucht meiner besten Freundin Katharina nur durch wohlwollende Worte und die neuesten Erkenntnisse der Liebesforschung eine glückliche Beziehung zu verschaffen. “Du musst dich den Männern mehr öffnen.”, “Sprich doch mal jemanden im Club an.” oder “Wähle bei tinder auch Männer, die du nicht sofort super heiß findest.”. Wie ich dazu komme, solche Tipps von mir zu geben? Ich reflektiere mein Verhalten auf das meiner Single-Freunde. Ich gehe davon aus, dass sie die gleichen Fehler bei der Liebessuche begehen oder begehen werden, die ich damals gemacht habe. Einen Fehler mache ich bei dieser Rechnung allerdings immer: Ich pauschalisiere meine Lösung für die Probleme der anderen. Klar hat es mir geholfen mein Beuteschema zu überdenken und abseits von tinder zu schauen, ob nicht ein geeigneter Partner für mich zu finden ist. Ob das die Lösung für alle anderen ist, bleibt jedoch zu bezweifeln. Es verhält sich so ähnlich wie ein wunderschönes Sommerkleid: Sieht es an mir gut aus, heißt das noch lange nicht, dass es jeder anderen Frau auf diesem Planeten stehen würde.
Partnerlosigkeit mal positiv sehen!
Gut gemeinte Hinweise vergebener Freunde können zwar ein Anstoß sein, stellen aber nur in den seltensten Fällen eine Lösung für Singles dar. Viel wichtiger wäre es, die Singles im Freundeskreis in ihrer Persönlichkeit und Lebensführung zu unterstützen. Warum immer die negativen Aspekte der Partnerlosigkeit herausstellen? Können Vergebene nicht einfach zugeben, dass auch sie manchmal Neid empfinden, wenn sie den freien und flexiblen Lifestyle ihrer alleinstehenden Freunde beobachten?
Der Single-Blick auf Beziehungen ist klarer als meiner auf die Welt der Alleinstehenden
Besser ist es, das Ratschlagsblatt umzudrehen und Tipps eines Singles für die eigene Beziehung zu nutzen. An welchen Dingen krankt die Liebe in vielen Fällen? An der immer intensiver schwindenden Individualität und dem Verlust alter Hobbies und Verhaltensweisen. In diesen Belangen sind es die Singles, die einen Expertenstatus innehaben. Ich merke bei jedem Treffen mit meiner Katharina, wie wertvoll ihre Hinweise für mich sind. Sie schlägt mir gemeinsame Unternehmungen vor, und zwar nur unter uns beiden, ohne Partner. Sie erinnert mich daran, mich mehr auf mich zu konzentrieren und sie spricht unbequeme Wahrheiten aus, die ich mit meiner rosa Beziehungsbrille nicht sehen mag. Katharinas Single-Blick auf Beziehungen ist viel klarer als meiner auf die Welt der Alleinstehenden. Befindet man sich für längere Zeit in einer Partnerschaft, vergisst man, was das Alleinesein ausgemacht hat. Der umgedrehte Fall tritt nur selten ein.
Klappe halten, zuhören!
Was ich daraus gelernt habe? Ich muss mehr zuhören anstatt das Wort zu ergreifen und etwas von meinem Liebeswissen loswerden zu wollen. Als ich damals auf mein Herzblatt traf, tat ich das nicht aufgrund eines Ratschlags, sondern aus eigener Motivation. Erst durch meine eigenen Erfahrungen, die zu einer Selbsterkenntnis geführt haben, konnte ich mein Herz öffnen. Gebe ich meinen Single-Freunden ständig Ratschläge, beraube ich sie dieser eigenen Erkenntnis und sorge eher für das Gegenteil von Liebe.
Also liebe Vergebene da draußen: Klappe halten, zuhören und lieber selbst ein paar Hinweise mitnehmen, als sie zu verteilen.