Wer Karriere machen will, muss Leistung zeigen. So das allgemeine Bild. Anstrengung wird belohnt. Genau so sollte es auch sein! Hänge ich mich in meinem Job richtig rein, folgt irgendwann die Belohnung in Form einer Beförderung. Diese Ansicht vertrete ich, seitdem ich im Berufsleben stehe. Jeder kann etwas erreichen, wenn er sich nur genug anstrengt.
Leider ist das in meiner Firma wohl nicht der Standard. Das durfte ich nach einer Firmenveranstaltung hautnah erleben. Einmal im Jahr veranstaltet mein Unternehmen einen Tag voller Fachvorträge mit anschließendem Abendevent. Firmenveranstaltungen mag ich gern! Man lernt viele Kollegen kennen, mit denen man sonst nur per Telefon kommuniziert. Bei einem Bier knüpft man schnell Kontakte und löst das ein oder andere fachliche Problem im Handumdrehen.
So saß ich Abends nun bei einem Glas Wein mit Kollegen am Veranstaltungsort und freute mich auf einen ruhigen, aber erfolgreichen Abend. Da meine Firma einen Altersdurchschnitt von gerade einmal 37 Jahren hält, war klar, dass der Abend nicht, wie laut Agenda vorgesehen, um 21 Uhr enden würde.
Viele kleine Grüppchen zogen in die Innenstadt und machten die ein oder andere Bar unsicher. Ich schnappte mir ein paar Kollegen und wollte den Abend bei einer Shisha ausklingen lassen.
Es war gemütlich, entspannend und harmonisch. Bis ein Kollege aus der Chefetage anrief. „Hey, kommt doch noch in die Cocktailbar um die Ecke, wir sitzen hier mit dem Management zusammen.“
Gut, wenn der Chef anruft, tut man gut daran, wenigstens kurz in der angesprochenen Bar aufzukreuzen.
Als wir die Location betraten, fielen mir direkt die vielen leeren Cocktailgläser auf dem Tisch auf. Es hatte sich die komplette Führungsmannschaft versammelt: Teamleiter, Abteilungsleiter, Geschäftsleitung. Menschen, mit denen ich sonst eher in ernsthaften Gesprächsrunden zusammen sitze. Menschen, die über mein berufliches Fortkommen entscheiden würden.
Sie gröhlten, als wir die Bar betraten. Natürlich war es keine reine Männerrunde. Dazwischen saßen vereinzelt sehr hübsche Frauen. Allerdings war dies auch schon ihre einzige Qualifikation, gutes Aussehen. Ich habe an diesem Abend keine von ihnen reden gehört. Abgesehen von der Assistentin der Geschäftsleitung. Diese saß wie ein Wachhund neben ihrem Chef und klimperte mit ihren großen Augen.
Ich wurde von zwei Kolleginnen und einem Kollegen begleitet. Dieser Kollege steht mir relativ nahe, wir pflegen so eine Art Affäre, wenn ich am Firmenhauptsitz unterwegs bin. Auch diese Nacht wollte ich, wie immer, bei ihm verbringen.
In dieser Bar fühlte ich mich fehl am Platz. Ich gehörte weder zur Chefetage, noch zu den hübschen Aushänge-Frauen. Der Alkoholpegel der Runde war schon so hoch, dass ich es keinen Moment länger aushalten würde, ohne einen Cocktail auf Ex zu trinken. Einfach dem Pegel der Anderen anpassen, dann hältst du das schon aus, dachte ich mir.
Neben mir saß ein Teamleiter, der mir aber penetrant einreden wollte, er wäre nur der Hausmeister. Ihm gegenüber saß ein weiterer Teamleiter, der mit schlechten Witzen versuchte, die Herren zu beeindrucken. Am anderen Ende des Tisches befand sich der „höchste“ Manager dieser Runde. Er starrte zu mir rüber. Ich war mir nicht sicher, ob er mich anflirten wollte, oder sich einfach nicht sicher war, ob ich da nun doppelt sitzen würde, und er einfach zu viel getrunken hatte.
Sein Wachhündchen saß mit einer rosa Zigarette in der Hand daneben, und versuchte unauffällig, an ihrem Chef rumzugrabbeln. Die Kellnerin kam nun schon mit dem dritten Tablett voller Cocktails, so dass der Alkoholpegel stetig stieg.
Um nicht unhöflich zu erscheinen, fragte ich einen Teamleiter meiner Abteilung, ob der Cocktail vor ihm noch „frei“ wäre. „Für dich Jule, ist immer ein Cocktail frei!“ – Nett! Ich solle doch mehr trinken, ich würde nüchtern aussehen, entgegnete mir die Runde.
„Wer in dieser Firma etwas erreichen will, muss bei den Partys mitfeiern!“ – gab mir mein Chef von Anfang an mit auf den Weg. Ich hörte von zerstörten Hotelzimmern, Legenden, kotzendem Management. So richtig konnte ich das nie glauben, eine gewisse Professionalität, habe ich den Führungskräften immer zugetraut.
Die Nacht wurde länger, die Witze immer flacher. Es ging um Frauen. Das Niveau, mit dem über Frauen gesprochen wurde, war unter aller Kanone, es war verachtend, sexistisch, gruselig. Das musst du jetzt aushalten Jule, dachte ich mir. Halt einfach die Klappe, und lächele. Das gelang mir mit der Zeit leider nur noch bedingt. Irgendwann konnte ich mich nicht mehr zusammen reißen, und fing an zurück zu pöbeln. Die Runde war überrascht. Dass sich eine Frau auflehnen würde, hätten sie nicht erwartet. Es wurde mir zu viel. Gegen 2 Uhr bat ich meinen „Übernachtungskollegen“, mit mir nach Hause zu gehen. Er lehnte ab.
„Man muss bis zum Ende mitfeiern, um in dieser Firma etwas zu erreichen.“
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte! Er stand vor der Wahl, eine sehr gute Freundin mitten in der Nacht nach hause bringen, da sie schon gut betrunken war, oder an der eigenen Karriere arbeiten,
Er entschied sich für die Karriere. „Hier hast du meinen Schlüssel, ich klingel dann, wenn wir hier fertig sind.“
Mir fiel alles aus dem Gesicht! Beleidigt, traurig ging ich, ohne mich zu verabschieden. Es enttäuschte mich, dass einem Mann die Karriere wichtiger schien, als das Wohlbefinden einer Frau, die ihm etwas bedeutete.
Kurz vor 5 klingelte er mich aus dem Bett und fiel mir sturzbetrunken an der Haustür entgegen. Wütend legte ich mich wieder schlafen. Er ekelte mich einfach nur an.
Am Folgetag hörte ich, dass genau an diesem Abend Entscheidungen über die Vergabe von Führungspositionen getroffen wurden. Es zählte nicht, wer die beste Leistung brachte, sondern wer die meisten Cocktails vertrug, die heißesten Frauen aufriss und die besten Witze erzählte.
Die gesamte Führungsetage könnte man eigentlich als „Feieretage“ bezeichnen. Genau das ist einer der Gründe, wieso es so wenige Frauen bis ins Management schaffen. Das ist die sogenannte „Gläserne-Grenze“. Man sieht, wie die Führungskräfte ausgewählt werden, rennt als Frau aber immer gegen die Scheibe, weil man bei dem ganzen Prollgehabe, einfach nicht mithalten kann.
Schafft es doch mal eine Frau in eine Führungsposition, ist sie nicht selten die Freundin einer anderen Führungskraft.
Ich verstehe nicht, wie man Trinkfähigkeit über fachliche Fähigkeiten stellen kann. Dieses ganze aufplustern, beweisen, inszenieren ist für mich typisch männlich. So etwas habe ich unter Frauen noch nicht erlebt.
Mich hat dieser Abend schockiert. Wenn es so läuft, möchte ich keine Karriere machen. Ich möchte, dass meine Leistung honoriert wird. Für mich gibt es wichtigere Dinge, als mir der Karriere zuliebe, die Nächte um die Ohren zu schlagen. Sollte ich es jemals in eine Führungsposition schaffen, dann vermutlich nur, weil ich mit eben diesem Kollegen ins Bett gehe, der mich für seine eigene Karriere im Stich gelassen hat.
Leider ist es heutzutage oft so, dass man in den meisten Firmen nicht mehr mit Leistung weiter kommt. In meiner ursprünglichen Firma, in dessen Konzern ich quasi „groß“ geworden bin, kam man nur weiter, wenn man über Vitamin B verfügte und sich gut darstellen konnte… bereit war andere Kollegen in die Scheiße zu reiten, etc. – kurz gesagt: du musstest bereit sein um über Leichen zu gehen!
In meinem letzten großen Konzern, aus dem ich auch ausgetreten bin, war es direkt von Anfang an so: „Führungsetage? Kannst du knicken! Entweder du kommst aus der Familie des Geschäftsführers, dann hast du eine Chance! Ansonsten wird das nichts!“
In meinem bisherigen Berufsleben wurde mir bis heute ein einziges Mal eine Führungsposition angeboten. Aber auch erst als ich meine Kündigung eingereicht habe und sie erkannt haben, dass ich bereit war die Firma für ein besseres Angebot zu verlassen und dass ich nicht abhängig von ihnen war. Das Angebot mit der Führungsposition habe ich dankend abgelehnt. ^^
Du siehst das also als normal an? Ich finde im Freundeskreis kann man feiern gehen und sich betrinken, aber das hat im Arbeitsumfeld nichts zu suchen. Ein Bier nach Feierabend okay aber so eine Eskalation geht gar nicht
Ich habe bisher für 4 Unternehmen gearbeitet. Bei zwei war die Sauferei fester Bestandteil von Off-Sites und Messen. Bei einem gar nicht und beim letzten mal so mal so. Der Alkohol ist in Deutschland ein sehr wichtiger Bestandteil.
Vielleicht habe ich immer in den falschen Branchen gearbeitet aber bei uns gab es immer zu wenig Frauen, um so eine Party zu feiern.
Die Sauferei gehört dazu aber wenn man nicht mittrinkt, dann wird das auch akzeptiert. Ich trinke nie. Das ist zwar an einer bestimmten Uhrzeit mühsam, da man nüchtern über bestimmte Witze nicht lachen kann, aber am nächsten Tag hat man dafür mehr Spaß, wenn man die Alkoholleichen sieht und wie sie mit den Nachwirkungen kämpfen. Die Sauferei gibt ein Gefühl von Nähe und Gemeinsamkeit. Entsprechend denken viele, dass die Saufkumpanen wie man selbst ist und entsprechend will man diese Kollegen weiterhin um sich haben. Je höher man kommt desto mehr braucht man aber auch fähige Kollegen, die die Arbeit machen. Wenn jemand nur am Glas etwas kann, dann ist er schnell weg. Ich habe immer unterschieden in Kollegen mit denen ich feiern kann und Kollegen, die es mir ermöglichen überhaupt feiern zu gehen. Die letzteren waren mir immer lieber.
Gab e dumme Sprüche über Frauen? Absolut, aber eher wenn keine dabei waren. Wenn doch, dann bei den Frauen, die auch kräftig austeilen konnten. Von daher war das meistens lustig.
Wenn eine Frau meinte, dass sie nicht ausreichend berücksichtigt wurde, dann ist sie zur Konkurrenz gegangen. Wie bei den Männern auch, war man in einigen Fällen sehr traurig und in anderen Fällen froh, dass jemand weg war.
Bzgl Deinem Bekannten kann ich nicht nachvollziehen warum Du enttäuscht bist. Du bist sein Gast. Da kann er doch machen was er will.
Leider wahr… nicht immer an Cocktails oder Frauenaufriss gemessen, aber definitiv immer eine Schwanzlängenfrage, leider.
Da hilft es nur, sich Firmen auszusuchen, die anders ticken und die Führungsetage nicht nur aus Männern „dieser Art“ bestehen. Das ist schwierig und nicht immer gleich ersichtlich. Aber in Firmen wie der Deinen? Wird sich das nicht ändern. 🙁