Kuschel mich! – Warum ihr schleunigst eure Freunde umarmen solltet

Kuschelpartys sind der neuste Schrei in Großstädten. Eine Gruppe von Menschen kommt zusammen, um einige Stunden lang Massagen und Kuscheleinheiten auszutauschen. Nein, einen sexuellen Hintergrund hat das Ganze nicht. Es geht einzig und allein um Berührungen und das Geborgenheitsgefühl, welches durch die Nähe entsteht.

Irgendwie gruselig, oder? Wenn ich mir vorstelle, fremde Menschen anzufassen oder mich anfassen zu lassen, wird mir schon etwas mulmig. Aus welchem Grund tun Menschen so etwas? Gerade Singles haben teilweise gar keine andere Möglichkeit an körperliche Nähe zu kommen. Es ist schwer vorstellbar, aber gerade Singles verbringen die meiste Zeit des Tages alleine. Wer nimmt sie in den Arm, wenn ihnen nach Nähe ist? Niemand. Dabei ist Körperkontakt ein Urbedürfnis des Menschen. „Warm, weich und sicher“, sind unter anderem die Grundbedürfnisse eines Babys. Denn schon im Mutterleib wird seine Entwicklung durch den intensiven Körperkontakt unterstützt. Kommen wir zur Welt, müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass unsere Umgebung weder warm, noch weich, geschweige denn sicher ist. Als Kind ist es leicht, mal eine Umarmung zu erhaschen, oder getröstet zu werden, wenn wir uns das Knie aufgeschlagen haben. Sobald wir jedoch erwachsen sind, vereinsamen wir immer mehr. Wir können uns zwar jeden Tag mit Freunden treffen, aber wo bleibt da der Körperkontakt? Wo bleiben liebevolle Berührungen, die uns Geborgenheit vermitteln?

Fehlende Nähe macht krank

Studien haben bewiesen, dass Körperkontakt zu einem starken Immunsystem beiträgt. Die Ausschüttung von Oxytocin des Kuschelns, darum auch Kuschelhormon genannt, sorgt dafür, dass wir den Viren und Bakterien trotzen können. Schon bei Frühgeborenen lässt sich feststellen, dass sich intensiver Körperkontakt positiv auf die Entwicklung auswirkt. Einen Zusammenhang zwischen Kuscheln und Immunsystem konnte ich schon am eigenen Leib feststellen. „Du hast mich wohl nicht genug lieb gehabt, sonst hätte ich den Schnupfen nicht bekommen.“, musste sich mein Ex-Freund bei jedem Virenbefall den ich erlitt anhören. Kurioserweise wurde ich allerdings nur krank, wenn wir gerade Streit hatten, oder er für mehrere Tage verreist war. Ich wurde partout nicht gesund, bis er wieder nach Hause kam. Mein Körper reagierte dadurch sofort auf die Abwesenheit des Körperkontaktes. Oxytocin kann übrigens wie eine Droge wirken. Tagelang zu zweit im Bett rumliegen, das wäre was. Allein die Vorstellung gibt mir ein wohliges Gefühl. Das mag daran liegen, dass ich gerade auf Entzug bin. Mein Freund kämpft mit einer starken Erkältung, die uns über mehrere Tage dazu zwingt jeglichen Körperkontakt zu unterlassen. Kein Kuss, keine Umarmung, nur über zwei Meter hinweg zuwinken. Für mich fühlt sich das so an, als hätte man mir etwas Lebenswichtiges genommen. Umso länger die kuschelfreie Zeit dauert, desto tiefer falle ich in eine kleine Depression. Die Laune ist mies und ich würde mich am liebsten in fünf Decken hüllen und schlafen.

Klar, dass tinder so viele Fans hat

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie das die vielen Singles auf dieser Welt überleben. Wenn über Tage, Wochen, oder vielleicht sogar Monate niemand da ist, der einen in den Arm nimmt, über den Kopf streichelt und Körperwärme ausstrahlt. Fehlt über eine lange Zeit hinweg das „warm, weich und sicher“-Gefühl, ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen an psychischen Problemen leiden. Wer sich bis jetzt gefragt hat, warum tinder so eine große Fangemeinde hat, hier habt ihr die Antwort: Wir brauchen körperliche Nähe wie die Luft zum atmen. Auch wenn es manchmal nur ein Abend oder eine Nacht ist, Kuscheln ist wie eine Droge, von der man sich ab und zu einen Schuss geben muss, um nicht komplett durchzudrehen. Wenn das Gefühl fehlt, sich einfach fallen lassen zu können, leiden wir unter dauerhafter Anspannung. Misst man zum Beispiel während einer Massage den Puls lässt sich feststellen, dass sich dieser schlagartig verlangsamt, und dadurch für Entspannung sorgt. Die Oxytocindepots werden aufgeladen und man schaut wieder mit fröhlicheren Augen in die Welt.

Kuschelt eure Freunde! Und zwar zeitnah

Darum richte ich nun einen Aufruf an alle Leserinnen und Leser da draußen: Umarmt euch! Ruft eure Freunde an, verabredet euch, und dann auf in den Nahkampf. Der besten Freundin den Rücken massieren, dem Kumpel über den Kopf streicheln, sucht euch etwas aus. Lasst uns der fehlenden Nähe trotzen und dafür sorgen, dass das Defizit an Körperkontakt Geschichte ist.

Affären sind Kamikaze

Eine Affäre zu sein, kann toll sein. Es ist ungemein förderlich für das Selbstwertgefühl. Eine Affäre zu sein, ist auf der anderen Seite unglaublich hart. Man schwankt ständig zwischen intensiver Nähe und krasser Entfernung. Befindet man sich innerhalb von 4 Wänden, gleicht es einem Traum. Liebevoll, zärtlich und aufopfernd wird man behandelt. Man wird behandelt, wie man gerne behandelt werden möchte. Doch dieser Traum endet spätestens an der Wohnungstür. Ein letzter Kuss, und das wars. Trifft man sich in der Öffentlichkeit, tut man, als wäre man entfernt bekannt. Das mag ab und an klappen, aber gerade in den Momenten, in denen man sich nach dem Anderen sehnt, ist es unglaublich schwer.

Natürlich darf man von einer Affäre nichts erwarten, es gibt keine Ansprüche oder Erwartungen. Das kann weh tun. Sehr weh sogar. Man muss sich ständig distanzieren, die Gefühle wegdrücken. Man versucht herauszufinden, wie es dem anderen Part der Affäre geht. Normalerweise geht es dem anderen Part besser, dem gelingt es komischerweise immer, Gefühle aus dem Spiel zu lassen und die positiven Aspekte zu genießen. Man muss sich bewusst werden, so nah man der anderen Person auch gelegentlich ist, so fern ist sie, wenn man ernsthaft jemanden braucht, auch wenn es nur um den Arm genommen zu werden geht.

Am Ende steht man alleine da, mit seinen Gefühlen und Ängsten. Der andere Part ist nämlich nur da, wenn es einem gut geht, wenn keine Probleme zu erwarten sind.

Affären sind Kamikaze, es wird weh tun, aber trotzdem tun wir es. Wir tun es, weil wir uns nach den innigen Momenten sehnen, in denen wir genauso behandelt werden, wie wir es uns erträumen. Das ist ein Paradies, solange bis sich die Tür schließt und man wieder vor den 4 Wänden steht, allein.