Kein Alkohol? Schwanger! – Wie der Griff zur Pulle mir lästige Fragen erspart

Es gibt einen entscheidenden Moment, wenn man als kinderlose Frau um die 30 mit Freunden oder der Familie verabredet ist. Der, sobald die ersten Getränke bestellt werden, die erste Flasche Sekt zur Feier des Tages geöffnet wird. Die Blicke verändern sich, greift Frau nicht direkt zum promillehaltigen Glas. Es sind prüfende Blicke, die meinen Körper abscannen. Sie bleiben kurz an meiner Bauchregion hängen, um die auch noch so kleinste neue Wölbung zu entdecken. Ich komme mir dabei manchmal so vor, als wäre ich in einem kleinen Zoogehege ausgestellt. Beäugt wie eine Affendame, auf deren Trächtigkeit gewartet wird. Na, greift das Weibchen zum Zellgift, oder schützt es das noch geheime Ungeborene?

Schwanger oder nicht Schwanger

Schwanger oder nicht schwanger, diese Frage wird in Geselligkeit durch die Getränkewahl bestimmt. Noch vor einigen Jahren war es für andere durchaus plausibel, wenn ich Bier, Sekt und Schnaps aufgrund von Medikamenteneinnahme oder einem angeschlagenen Magen ablehnte. Mag halt nicht, vollkommen okay. Meine Gesundheit stand im Vordergrund des Interesses. Dieses Bild hat sich schlagartig geändert, seitdem ich „alt genug“ und vergeben bin. Um die 30, in einer stabilen Partnerschaft = müsste in kürzester Zeit Mama werden.

Sollte ich den Zugang zu meiner Zyklus-App teilen?

Vor einigen Jahrzehnten war es normal erst zu heiraten und dann den Familienplan in die Hand zu nehmen. Eine klare Zeitabfolge, die nur Mutige durchkreuzten. Heutzutage gelten keine Regeln mehr. Es könnte immer so weit sein. In meinem Umfeld gibt es tatsächlich Menschen, die sich alle paar Wochen über den Zustand meiner Gebärmutter informieren möchten. „Und, hats geklappt?“, werde ich in regelmäßigen Abständen gefragt. Ich war schon kurz davor, den Zugang zu meiner Zyklus-App zu teilen, um Interessierte täglich informiert zu halten. Oder alle paar Wochen auf einen Schwangerschaftstest pinkeln und das Bild auf Facebook und Instagram teilen? Gruselige Vorstellung.

Mein Körper gehört mir!

Wann zum Teufel ist der Zustand meiner Gebärmutter zum Allgemeingut geworden? Zur Information, die für Freunde und Familie so relevant ist, wie die aktuelle Zeitungsausgabe? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie andere Frauen unter diesem Gesellschaftsdruck überhaupt in der Lage sind, ihren Körper auf Kinderwunsch einzustellen. Was macht es mit ihnen, wenn es Monat für Monat wieder nicht klappt? Wenn sie Monat für Monat wieder mit dem Kopf schütteln müssen, sobald die regelmäßige Statusabfrage des Umfeldes erfolgt? Es hat doch einen guten Grund, dass die Befruchtungsprozesse innerhalb des Körpers, für die Mitmenschen verborgen, stattfinden. Mein Körper gehört mir, und damit alles, was darin vorgeht.

Die Spannung löst sich, sobald alle gebärfähigen Damen am Alkohol genippt haben

Seitdem ich mich bei der Getränkeauswahl gaffenden Blicken ausgesetzt fühle, bestelle ich Alkohol. Immer. Egal, ob mir danach der Magen kneift, oder ob ich eigentlich mehr Bock auf Limo habe. Mindestens ein Getränk des Abends muss promillehaltig sein. Das macht mir das Leben leichter. Es verhindert Gespräche, die ich nicht führen möchte. Interessant zu sehen ist, wie sich plötzlich jegliche Anspannung bei einer Veranstaltung löst, sobald alle gebärfähigen Damen der Runde zumindest einmal am Alkohol genippt haben. Ach, wobei, nippen reicht nicht. „Du hast doch gar nicht richtig getrunken.“ Meine Reaktion? Ein großer Schluck aus dem Glas. Bitteschön, gern geschehen, nächste Nachfrage erst in einigen Wochen notwendig.

Die Biologische Uhr bringt mich zum „austicken“

Manchmal liest man Artikel, die ein komisches Gefühl hinterlassen. Artikel die zum Nachdenken anregen, aber gleichzeitig auch auf eine Blockade im Kopf treffen. Es ist eine Art Schutzmauer vor Gedanken, die man in die hinterste Ecke des Kopfes geschoben hat. In manchen Situationen geht allerdings eine kleine Tür auf, und einige Denkansätze bahnen sich ihnen Weg.

Genau das ist mir heute nach dem Lesen des folgenden Artikels passiert:

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/594141/Jungs-habt-ihr-Angst-vor-unserer-biologischen-Uhr

Die biologische Uhr, ein ziemlich fieses Ding! Ich als Frau kann das komplett nachvollziehen. Dieser kleine Wecker tickt leise aber stetig. Er wird lauter, sobald ich mir Gedanken um die Zukunft mache. Mädchen, du bist fast 30, besser wird’s nicht! Um mich herum sehe ich Kinderwagen, freudig strahlende Paare, die sich die Sabber von der Schulter wischen. Ich für meinen Teil schleppe mich jeden Morgen zur Arbeit, die Stunden bis zum Wochenende zählend, wo ich endlich wieder eskalieren kann. Eskalieren zur Ablenkung, damit die Mauer in meinem Kopf nicht aufbricht. Am Ende besteht der „große Sinn des Lebens“ ja doch irgendwie sich um eine neue Generation zu kümmern.

Scheinbar schafft es jeder Depp, eine Familie zu gründen. Aber ich, ich stehe hier allein. Auch wenn ich wollen würde, fehlt der (leider) biologisch notwendige zweite Part. Wie formulierte es meine Beste so schön: „Kinder kriegen ist die eine Sache, erstmal Beziehung ist die andere. Das ist schon schwer genug!“. Genau das ist der Punkt, der in mir die biologische Uhr zum „austicken“ bringt. Auch wenn ich in naher Zukunft einen Partner finden würde, erstmal muss die Beziehung klappen. Das sollte dann über Jahre der Fall sein. Ich wäre dann 30, wenn nicht sogar einen Tick älter. Ist zeitlich sogar noch in Ordnung. Es setzt aber voraus, dass ich ZEITNAH jemanden kennen lerne. Dieses Paar Schuhe habe ich mir allerdings schon ausgezogen.

Eine feste Beziehung eingehen, das möchte heute kaum noch jemand. Ohne feste Beziehung entstehen Kinder meist nur durch „Unfälle“. Wieso erscheint es mir so realistisch, dass ich irgendwann mit einem „Unfall“ auf dem Arm umher laufe? Alleinerziehende, das ist das Bild was ich im Kopf habe. Traue ich den Männern nicht mehr zu, dass sie Verantwortung übernehmen können? Das mag die eine Seite sein, die andere ist, dass es mir ab einem gewissen Alter wohl egal wäre, ob ich einen Partner hätte, der mich unterstützt.

Das Idealbild einer Familie entfernt sich mit den Jahren und mit den sich anhäufenden Erfahrungen, immer mehr. Umso öfter ich höre, dass Männer eine Familie nur als Kostenfaktor und Einschränkung der Lebensqualität sehen, desto mehr verabschiede ich mich von meinen Vorstellungen.

Die Männer in meinem Umfeld, die offen für Kinder sind, ergänzen aber regelmäßig: „Schon gerne, aber noch nicht jetzt, ich habe ja noch Zeit.“.

Ja liebe Männer, die Zeit habt ihr. Wir aber nicht. Wollt ihr eine starke Frau, die euch auf Augenhöhe gegenüber tritt, lohnt es sich in der „kritischen“ Altersgruppe zu schauen. Klar gibt es einige sehr extreme Ausprägungen. So hörte ich von einer Dame, die nach kurzen 2 Monaten Beziehung schon alles fest machen wollte: Zusammenziehen, Kinderzimmer, Familienplanung.

Man mag es als übertrieben bezeichnen, aber ich kann es nachvollziehen! Die Zeit rennt. Verliert man Monate, Jahre, verliert man vielleicht seinen Traum von einer eigenen Familie.

Es ist eine Angst, die einen mit der Zeit zerfrisst. Mit dieser Angst setzen Frauen Männer oft unter Druck, ohne es zu wollen. Was bleibt aber anderes übrig? Warten? Warten bis die Biologie uns sagt: „Nö, du nicht mehr“?