Der Tod kennt keine schlüssigen Argumente, keine Begründungen

„Eilmeldung: Guido Westerwelle ist tot!“, lief es auf einer Newsseite durch, welche ich nichtsahnend auf meinem Telefon öffnete. Ich hasse diese großen, schwarzen Überschriften, theatralischen schwarz-weiß Fotos und die unübersehbaren Schlagzeilen. Sie schreien mir ins Gesicht, dass es schon wieder jemanden erwischt hat. Je älter ich werde, desto öfter kenne ich die Trauerfälle sogar. Michael Jackson, Robin Williams, David Bowie. Irgendwie waren das über die längste Zeit meines Lebens Personen, die zeitlos daher kamen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie altern würden. Die waren immer da und die werden immer da sein, dachte ich. Naiv! So richtig naiv war ich. Doch irgendwie tat mir das gut. Ich setzte mich mit dem Tod und dem Sterben nicht auseinander. Alles was man nicht sieht, ist nicht da. Eine kindische Denkweise, aber ich habe die Sorglosigkeit genossen. Jedes Lebensjahr, welches ich mehr „auf dem Buckel“ habe, nimmt mir diese Naivität. Es geht mir viel mehr zu Herzen, wenn ein Mensch weniger unter uns weilt.

Die erste indirekte Begegnung mit dem Tod hatte ich, als mein Uropa starb. Ich war vielleicht gerade einmal 5 Jahre alt, aber ich verstand gut, was passiert war. „Uropa war lange krank und auch schon sehr alt, er kommt nicht mehr wieder.“, so oder so ähnlich überbrachten mir meine Eltern die schlechte Nachricht. Ich war zwar etwas traurig, aber ich konnte die Argumente verstehen. Schließlich hatte mein Uropa damals nur noch zwei ganze Zähne, weswegen ich ihn bei jedem Besuch aufzog und ihm regelmäßig ans Herz legte, doch mal einen Zahnarzt aufzusuchen. Kindliche Leichtigkeit ist wirklich ein Segen. So jung ich auch war, mir war es wichtig, dass ich Dinge verstand. Mir war schnell klar, dass man halt irgendwann nicht mehr da ist, wenn man sehr alt wird. Diese Ansicht konnte ich sehr lange mit mir herum tragen. Es klappte genau bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich Robert kennenlernte. Als er zur Tür herein kam, war ich direkt von seiner Ausstrahlung fasziniert. Er hatte eine unglaublich positive Ausstrahlung. Über eine längere Zeit betrachtete ich ihn eher aus der Distanz. Woher meine Faszination kam, war mir lange nicht bewusst. Er schien einfach ein interessanter Mensch zu sein. Als meine damaligen Schwiegereltern bemerkten, wie meine Blicken an diesem Mann hängen blieben, nahmen sie mich kurz zur Seite. „Das ist Robert, ein toller Mensch. Aber Robert hat Krebs.“, ich schluckte. Man sah es ihm nicht an, aber er war mit seinen jungen Jahren schon arg vom Schicksal gebeutelt. Mit Anfang 20 bekam er die Diagnose Krebs. In diesem Alter rechnet man mit einer Grippe, einem gebrochenen Arm, aber doch nicht mit Krebs! Das muss ein unglaublicher Cut in seinem Leben gewesen sein. Chemotherapie nach Chemotherapie, stand er durch wie ein Held. Ich weiß bis heute nicht, wo er den Mut und den Humor hernahm, um nicht in Depressionen zu verfallen.

Als ich Robert kennenlernte, befand er sich kurz vor einer weiteren Chemotherapie. Ich hatte somit das Glück, ihn für eine kurze Zeit fit und erholt zu erleben. Wir verstanden uns sofort und er schaffte es innerhalb von wenigen Treffen, sich in mein Herz zu lächeln. Er ist sozusagen direkt zum „Herzensmensch“ geworden. Doch die sorglose Zeit sollte bald vorbei sein. Ich erlebte aus nächster Nähe, wie ihm die Chemo zusetzte. Wir telefonierten, wir schrieben SMS. Teilweise stand ich sogar nachts auf, um ihm per Nachricht die Zeit zu vertreiben. Die Chemo macht den Körper kaputt. In einigen Zeiten schlief er kaum, in anderen wachte er kaum auf. Die Medikamente machten Robert kaputt. Doch er blieb trotzdem der freudige Kullerkeks, den ich kennengelernt hatte. Kurz nach der Chemo erfuhr er, dass für ihn nun die Diagnose „unheilbar“ bestand. Die ganzen Chemos haben nur dafür gesorgt, dass der Krebs ein wenig zurückgehalten wurde. Ich erfuhr von dieser Diagnose, indem Robert mir ein Bild der schriftlichen Diagnose schickte. Das Medizin-Chinesisch musste ich erst umständlich googeln, doch mir war schnell klar, was diese Diagnose bedeutete. „Wie lange hast du noch?“, fragte ich ihn mit zittriger Stimme. „Naja, so 2 oder 3 Jahre vielleicht? Aber das haben die schon so oft gesagt, vielleicht werd ich auch 80!“, scherzte Robert in alter Manier. Ich konnte darüber nicht lachen. Ich weinte.

Es fühlte sich für mich so an, als würde mir schon jetzt ein Stück aus meinem Herzen entrissen werden. Dass er in 2 oder 3 Jahren nicht mehr da sein sollte, wollte mir nicht in den Kopf. Hatte er mich doch so motiviert, so inspiriert. Es fiel mir schwer, normal mit ihm umzugehen. Schließlich sollte er nicht das Gefühl haben, dass ich unter der Situation litt. Doch ich konnte damit nicht umgehen. Ich war komplett überfordert. Es traf hier keines meiner Argumente zu, welches einen Tod als „okay“ definierte. Er war weder sehr alt, noch hatte er so ungesund gelebt, dass man es als selbst verschuldet deklarieren könnte. In meinem Kopf gab einfach kein Verständnis. Ich wollte es nicht wahr haben und zog mich von ihm zurück. Ich ertrug es nicht, ihn leiden zu sehen. Die Unfähigkeit der Menschheit, an dieser Krankheit etwas zu ändern, sie zu heilen, machte mich fertig. Ich musste das irgendwie verarbeiten. Den ganzen Schmerz den ich empfand, musste ich irgendwie bündeln.

Robert war der Auslöser für mein erstes Tattoo. Ich kombinierte unser gemeinsames Hobby das Tanzen, mit der Textzeile eines Songs, welchen wir beide sehr mochten. Ein Tattoo empfand ich als tolle Lösung, um diese Situation zu verarbeiten. Der Schmerz während des Stechens machte mir noch einmal körperlich bewusst, wie sehr ich unter der Situation litt. Das Ergebnis hält ein Leben lang. Es wird da sein, wenn er es nicht mehr ist. Das Tattoo wird mich mein Leben lang an einen Menschen erinnern, der mein Leben veränderte. Robert nahm mir meine kindliche Naivität und machte mir klar, dass nichts für immer ist, dass alles schneller vorbei sein kann, als man damit rechnet. Es war eine harte Erkenntnis, mit der ich noch heute zu kämpfen habe. Gerade in Momenten, in denen ich die großen Eilmeldungen zum Tod von Prominenten sehe, falle ich in den alten Schmerz zurück. Doch genau dieser Schmerz ist es, der mich immer wieder daran erinnert, die schönen Momente im Leben zu genießen. Ich kann für die Zukunft planen, bis mir schlecht wird, aber ich werde nie wissen ob es diese Zukunft für mich oder die eingeplanten Personen gibt. Das ist hart! Das ist schwer! Aber das ist ein Teil des Lebens, den man nicht übergehen darf. Er gehört dazu, zum erwachsen werden.