Gastbeitrag: Kotze in der Gefriertruhe – Vor Silvester verlassen werden

Als mir meine Freundin Bettina die folgenden Zeilen vorlas, war mir sofort klar: die müssen unbedingt veröffentlicht werden! Ich hätte am liebsten selbst in die nächstgelegene Kühltruhe gekotzt, so sehr konnte ich Bettinas Emotionen nachempfinden. Eine Trennung kurz vor Silvester? Wer macht denn sowas? Aber wie es die Autorin so passend beschreibt: Der Zeitpunkt ist nie passend.

Manche Nächte sind so lang, dass man meint, sie lassen den Tag nie wieder ran.
So dachte ich, als ich wieder einmal verlassen wurde. Jahrzehnte trug ich einen Spruch von ?… ich weiß nicht mehr…es war eine Frau…mit mir herum : “Ich wurde öfter verlassen, als dass ich verließ, und verstehe nicht, wie man eines geliebten Wesens überdrüssig werden kann.“.

Silvester – eine bessere Zeit für eine Trennung gibt es nicht

Ich wurde einem Mann überdrüssig. Kurz nach Weihnachten. Kurz vor Silvester. Eine bessere Zeit für eine Trennung gibt es nicht. Ja, ich weiß, der Zeitpunkt ist nie passend. An jenem Silvestermorgen musste ich noch ein paar lebenspraktische Dinge besorgen. Milch, Brot, Bier. Und, was soll ich bloß kochen? Mit leerem Trennungsmagen einkaufen gehen, ist geil! Jeder Geruch bringt Bewegung in die Straße vom Magen aufwärts. Fassungslos such ich zwischen den Regalen nach Antworten. Tiefkühlkost.

Kotze in der Gefriertruhe

Gleich kotz ich in die Gefriertruhe! Denk ich noch, als ich mich über die geöffnete Schiebefläche beuge. Und schon ergießt sich die gelbe Galle über gefrorenes Pangasiusfilet, Lachs, und Tintenfisch. Was für ein Aufstand! Silvestermorgen bei Kaufland: Eine Frau erbricht sich in eine Gefriertruhe. Der herbeieilende Auszubildende verlor gleich auf dem Weg zu mir die Fassung, stotterte was von: „ich…ich…ich …Wischeimer…“, und begab sich mit schnellen Schritten in eine andere Richtung. Eine Menschentraube bildet sich um mich, und schnattert empört. In der benachbarten Kühltruhe liegen die Gänse in Teilen, welche es Weihnachten nicht bis auf den Tisch einer glücklichen Familie schafften, und nun als Sonderangebot unter die Leute gebracht werden sollen.

„Die is ja jetzt schon besoffen!“

Wieder einmal wird meine Hoffnung auf eine plötzliche Öffnung des Bodens unter mir enttäuscht. Harry Potter könnte mir doch mal sein Cap leihen. Unsichtbar, und sich schnellstmöglich verdrücken- das wär genial. Oder Superman bahnt sich einen Weg durch die Meute, nimmt mich in seine muskulösen Arme, und wir fliegen in den abendroten Himmel davon. Aber, nein. Stattdessen ist es noch immer Silvester, morgens um halb zehn, ich hänge sehr unelegant an der Truhe, unbekannte Menschen äußern unangebracht laute Mitteilungen- wie: „Die is ja jetzt schon besoffen!“; „Das sieht man der ja schon an!“…Verstohlen steckt mir eine junge Mutter eine Packung Taschentücher unter den missbilligenden Blicken der anderen Teilnehmer des Spektakels zu, und flüchtet.

Happy New Year!

Keine Rettung naht. Jetzt würde ich auch mit dem Glöckner von Notre Dame vorlieb nehmen. Sein Anblick wär hilfreich. Eilige Schritte. Ich hebe versuchsweise meinen Blick. Der Filialleiter! Er schiebt mich scheinbar mehr aus Angst vor einer Ausbreitung des Tumults, als aus reinem Mitgefühl Richtung Notausgang. Das spür ich an seiner derben Art, mit der er mich am rechten Oberarm hinter sich her zieht. Unterwegs wirft er den Reinigungskräften Befehle zu. Nun stehe ich auf der Straße. Ohne Einkauf. Inzwischen ist es halb zwölf. Bis 14 Uhr haben einige Läden geöffnet. Ich versuche es bei Rewe. Schlangen, wie damals in der Kaufhalle. Verärgerte Wartende werden von Verkäuferinnen mit Kaugummis beruhigt. Mein inneres Gleichgewicht ist halbwegs wieder hergestellt. Nach einer Stunde verlasse ich mit dem Nötigsten, und doch wieder Dingen, welche ich gar nicht brauche, den Laden. Elf Stunden später beginnt ein neues Jahr.

Über die Autorin:

Bettina ist eine von den Künstlerinnen, die ihre Kreativität eher in der Stille ausüben. Ein kleines liebevoll gestaltetes Notizbuch gefüllt mit Gedanken, Gedichten und Stichworten, ist ihr ständiger Begleiter. Einmal ein eigenes Buch veröffentlichen, das ist Bettinas Traum. Wenn sie nicht gerade ihren Gedanken nachhängt, kümmert sie sich liebevoll um ihren Nachwuchs und die satirisch-politische Zukunft unseres Landes. Bettina ist Kreisvorsitzende des Kreisverbandes Potsdam der Partei Die Partei.