Bitte – Ein Gedicht meines Großvaters

Die Liebe begleitet den Menschen schon seit Anbeginn der Zeit. Märchen, Dramen und Lyrik füllen Bücher um Bücher und trotzdem fragen wir uns: Kann das mit den rosaroten Gefühlen so schwer sein? Schließlich schlugen sich damit schon so viele Generationen vor uns herum. Der egoistische Blick auf sich selbst lässt manchmal vergessen, dass nicht nur wir selbst zweifeln. Mir wird diese Tatsache immer wieder bewusst, wenn ich Post von meinen Großeltern erhalte. Glaubt man an die Vererbung von Talenten, sind meine Großeltern mütterlicherseits wohl nicht ganz unbeteiligt daran, dass ich so viel Freude dabei verspüre, gefühlvolle Zeilen aufs Papier zu bringen. Als große Fans von Lyrik und Poesie sendeten mir Omi und Opi schon in jungen Jahren ihre liebsten Werke, mit denen ich damals jedoch noch nicht viel anfangen konnte.

Mein Großvater schrieb Gedichte über die Liebe

Nachdem ich ihnen Anfang 2017 das Buch für mehr Liebe, in welchem zwei meiner Texte enthalten sind, habe zukommen lassen, sahen sie den Moment gekommen, mir ihr eigenes Schaffen näher zu bringen. Ich wusste, dass besonders mein Großvater seinen Gedanken in Form von Gedichten Ausdruck verlieh, hatte aber bis jetzt nie die Gelegenheit, seine Zeilen zu lesen. Dies änderte sich mit einem Brief, der dicker war, als die obligatorische Karte, die mich sonst regelmäßig erreichte. Mein Opa sendete mir einige seiner Gedichte, die er während der letzten Jahrzehnte niedergeschrieben hatte. Ich konnte kaum glauben, dass auch er sich schon vor so vielen Jahren besonders mit dem Thema Liebe auseinandersetzt. Trotzdem meine Großeltern seit jungen Jahren verheiratet sind, war meinem Opa bewusst, wie zermürbend die Einsamkeit daherkommt. Es ist nicht lange her, da fühlte ich mich selbst wie ein linker Strumpf, der in durchlöcherter Hoffnung sehnsüchtig auf sein rechtes Gegenstück wartete. Notiert 1978, trotzdem weiterhin aktuell. Danke für diese Zeilen lieber Großvater <3

Bitte

Im Schranke steht ein Kasten,

da kommen Strümpfe hin,

sie haben sich verloren

und liegen einzeln drin.

 

Aus dem Verkehr genommen

warten die Linken allein,

ob balde die Rechten noch kommen?

Sie wollen doch Paare sein.

 

Die Nähte sind verschoben,

die Hoffnung hat schon ein Loch.

Das sind die geschiedenen Strümpfe –

Leute, so helft ihnen doch!

Heinrich Noack 1978

 

Großeltern, sie werden erst so richtig wichtig, wenn es eigentlich zu spät ist

In unserem Leben gibt es einen großen Schatz an Lebenserfahrung, auf den wir leider nur selten zurückgreifen: unsere Großeltern. Sie sind unsere Wurzeln und führen uns vor Augen, auf was es im Leben wirklich ankommt. Zeit ihnen die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie wirklich verdienen.

Dinge tun dürfen, die Mama und Papa normalerweise nicht erlauben, das ermöglichen Großeltern. Ich erinnere mich gerne daran, wie ich damals von meiner Oma verwöhnt wurde. Gab es Suppe, aber ich hatte Lust auf Hefeklöße, konnte ich mir sicher sein, dass auf meinem Teller nichts flüssiges zu finden sein wird. Großeltern waren für mich diejenigen, bei denen die Zügel etwas lockerer saßen. Als Kind ist es selbstverständlich regelmäßig mit den Großeltern zu tun zu haben. Ostereier suchen, ein schickes Weihnachtsgeschenk abstauben, Oma und Opa werden in jungen Jahren eher als eine “Geschenke-Maschine” wahrgenommen, die die Wünsche erfüllt, die von unseren Eltern wohlwollend ignoriert werden. Meine Großeltern waren für mich da, wenn ich sie brauchte. Dass sie, je älter ich wurde, noch an Bedeutung gewinnen würden, ahnte ich nicht. Sie verschwanden mit den Jahren immer mehr aus meinem Sichtfeld. Abgesehen von Weihnachten und Ostern, hörten wir nicht mehr viel voneinander. Und das war okay für mich. Ihr Leben hatte so ziemlich gar nichts mit meinem zu tun. Was interessierten mich Koch- und Backrezepte, wenn ich gerade lieber ein gutes Cocktailrezept gehabt hätte. Dabei ist es so wichtig, einen intensiven Kontakt zu halten.

Ich bemerkte, wie ähnlich wir uns doch waren

“Sag mal Oma, wie hast du den Opa eigentlich damals kennengelernt?”, fragte ich meine Großmutter, als wir zusammen am Kaffeetisch saßen. Es folgte eine emotionale Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen, die man sich nur vorstellen kann. Ich bemerkte, wie ähnlich wir uns doch waren, meine Omi und ich. Trotzdem sie über 50 Jahre älter ist, haben wir dieselben Lebensphasen durchschritten. Warum hatte ich ihr nicht schon früher Löcher in den Bauch gefragt? Vielleicht hätte sie mir den einen entscheidenden Tipp gegeben, der mich vor manchem Leid bewahrt hätte. Das ist das Traurige an Großeltern-Enkel Beziehungen: Sie werden erst so richtig wichtig, wenn es eigentlich zu spät ist. Aber warum ist das so?

“Man kann die Dinge nicht aufschreiben, die das Ergebnis am Ende so perfekt machen.”

Ich war in jüngeren Jahren einfach nicht in der Lage Ratschläge Älterer anzunehmen. Die haben doch keine Ahnung, was gerade in mir vorgeht, dachte ich. Jetzt merke ich, wie mir so langsam die Zeit davon läuft. “Ich war vor einigen Wochen einen ganzen Tag mit Omi backen.”, erzählte mir mein Cousin, während wir vom Kuchen nach Großeltern-Rezept naschten. Er riet mir, es ihm zeitnah gleich zu tun. “Rezepte bringen dir da gar nichts. Man kann die Dinge nicht aufschreiben, die das Ergebnis am Ende so perfekt machen.”, ergänzte er. Wie recht er hatte.

Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn plötzlich das Erbe verteilt wird

Wie empfanden es eigentlich meine Großeltern, dass ihre Weisheit bis jetzt gar nicht so richtig wahrgenommen wurde? Sie hätte sich schon gewünscht, dass ich öfter nach ihrer Sicht auf die Dinge gefragt hätte, gesteht meine Großmutter. Doch als ich sie daran erinnerte, wie viele Jahre ich um ihr Spezial-Lebkuchen-Rezept betteln musste, wurde sie nachdenklich. Sich alt zu fühlen, das war eine mögliche Konsequenz daraus, wenn man beginnt Dinge weiterzugeben. Es ist doch ein schlechtes Zeichen, wenn Menschen in ihrem Alter plötzlich anfangen das Erbe zu verteilen, das hat so etwas von “bald gibt es mich nicht mehr”, meinte meine Omi. Sie hatte recht. Als ich vor zwei Jahren endlich mein heiß ersehntes Lebkuchen-Rezept in den Händen hielt, wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass irgendwann der Moment kommen wird, an dem ich nicht mal eben schnell zum Telefonhörer greifen kann, wenn mir die Backzeit meiner Lieblingsnascherei entfallen ist.

Der Gedanke an ein Ende beängstigt mich

Bis vor kurzem dachte ich, dass alles im Leben so bleiben würde, wie es ist, für mindestens die nächsten 10 Jahre. Der Gedanke, dass meine Großeltern eines Morgens einfach nicht mehr aufwachen könnten, erschien mir fremd. Was wäre eigentlich, wenn sie nicht mehr da sind, fragte ich mich. Plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun. Wer streicht mir bei Familienfeiern liebevoll über den Rücken und strahlt mich in vollster Lebensfreude an? Wer schickt mir zu Weihnachten meine Lieblingslebkuchen, weil ich keine Zeit zum selbst backen habe? Und wer beantwortet mir brennende Lebensfragen, für die sogar meine Eltern zu jung sind? Das können nur Großeltern. Sie betrachten uns mit wohltuenden Augen, die mehr erkennen als das, was wir gerne ausstrahlen würden. Sie sehen unsere Wurzeln, die wir manchmal verloren zu haben scheinen. Sie sind weit genug von uns weg und trotzdem nah genug dran, um uns in die richtige Richtung zu lenken.

Ich hätte intensiver zuhören sollen

Ich hätte öfter einen Spaziergang mit den Familienältesten wagen sollen, anstatt vor meinem Computer zu sitzen. Ich hätte intensiver zuhören sollen, als sie mir von ihrem Leben berichteten. Es macht mich traurig, dass ich erst jetzt erkenne, welch großes Glück es ist, Großeltern zu haben. Die Zeit die wir mit ihnen haben, sollten wir nutzen, sei sie auch noch so kurz. Wir sollten ihnen Löcher in den Bauch fragen, alle alten Familienrezepte aufschreiben und dafür sorgen, dass sich ihre Lebenserfahrung durch die kommenden Generationen trägt.

Von der Erfahrungen Älterer profitieren – Weisheit färbt ab

Umso älter ich werde, desto erfahrener werde ich. Das bezieht sich auf Fähigkeiten, sowie auch auf Lebensansichten und „Weisheit“, wenn man davon in meinem Alter schon sprechen kann. Da reicht schon ein weiteres Lebensjahr um Dinge zu lernen, die die eigenen Augen öffnen und ein „Hätte ich das mal vorher gewusst!“ auslösen. Manchmal sind das ganz einfache Dinge, einfache Erfahrungen, die das Leben beeinflussen. „Ab 4 Bier ist mir am Folgetag schlecht“ – einfach, aber ziemlich gut zu wissen. Von solchen „einfachen“ Erfahrungen möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht sprechen. Es geht um Sinnesfragen, Lebensfragen und Liebesfragen. Gerade wenn es einer gewissen Weisheit bedarf, halte ich mich gerne an ältere Familienmitglieder. Meine Oma ist da ein großes Vorbild für mich. Jedes seltene Mal bei dem ich die Gelegenheit habe, länger mit ihr zu sprechen, ist wertvoll. Aus solchen Gesprächen gehe ich oft mit vielen neuen Erkenntnissen und Denkansätzen, die mich im Leben weiterbringen.

Zu Weihnachten traf ich nach knapp 10 Jahren mal wieder auf meine Großtante, also die Schwester meiner Oma. Trotzdem wir uns so lange nicht gesehen hatten, bestand eine Verbindung. Ich erinnerte mich, wie ich als Kind mit ihr und meinem Großonkel einkaufen ging. Unbedingt wollte ich eine bestimmte Packung Kaugummi, die mir meine Eltern nie erlaubt hätten. Dass meine Großtante sie mir ohne Widerrede in den Einkaufswagen packte, ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Verrückt, welche Kleinigkeiten sich Kinder so merken können. Als wir uns am Heiligabend verabschiedeten versprach ich meiner Großtante, dass ich zeitnah bei ihr vorbei schauen würde. So kam es dann auch. Wir verabredeten uns zu einem Tee, und zum Reden. Als ich mich auf den Weg zu ihr machte, war ich leicht verunsichert. Würden wir einen Drat zueinander finden, oder wüssten wir nach wenigen Minuten nicht mehr, über was wir uns unterhalten könnten? Diese Bedenken waren unbegründet. Wie alle Frauen meiner Familie mütterlicherseits, ist auch meine Großtante sehr gesprächig. Mit viel leckerem Tee eingedeckt, konnte es losgehen. Ich hatte mir vorher überlegt, welche Themen ich gerne ansprechen möchte, und wo ich mich nach einem Rat erkundigen werde. So hörte ich mir die verschiedensten Liebschafts-Geschichten an, lernte so einiges über den Alltag vor knapp 50 Jahren und konnte mir so ein gutes Bild machen.

Ich ließ es mir nicht nehmen Fragen zu stellen, die mich in Bezug auf die Liebe bewegten. Vielleicht würden mir die Erfahrungen eines weiseren Menschen helfen, selbst weise zu entscheiden. „Wie merke ich denn, ob mein Partner der Richtige für mich ist?“ – fragte ich in der Hoffnung, eine klar und anwendbare Antwort zu bekommen. Doch ich lag falsch. „Ob jemand der Richtige für dich ist, das weißt du nie!“ – erhielt ich als Antwort. Menschen entwickeln sich ein ganzes Leben lang. Was 40 Jahre zusammen passte, kann nach 41 Jahren komplett entgegengesetzt laufen. Liebe hat viel mit Vernunft zu tun, mit Vernunftentscheidungen. Sich verlieben ist eine tolle Sache, aber nur weil es nicht direkt funkt heißt es nicht, dass zwei Menschen nicht zusammen passen. Man muss ein Team bilden. Aus den Erfahrungen meiner Großtante lernte ich nun, wie wichtig es ist, in eine Beziehung zu investieren. Man muss etwas „reinstecken“ um etwas „herauszubekommen“. Ebenfalls sollte man nie den Blick auf den Partner verlieren. Ich sollte den Mann als Mann sehen und ihn auch so behandeln. Genauso ist es wichtig, dass ich mich als Frau gewertgeschätzt und gut behandelt fühle. Sich nicht aus den Augen zu verlieren, ist hier die Herausforderung.

Besonders wichtig war meiner Großtante mir zu vermitteln, dass ich kommunizieren müsse. Alles muss gesagt werden, auch unangenehme Dinge. Nicht als Vorwurf, sondern als Beschreibung der Gefühle. „Ich fühle mich unwohl, wenn du dies oder das tust.„. Diese klare Kommunikation sorgt dafür, dass der Partner zu jeder Zeit weiß, was im Gegenüber vorgeht. Das klingt auf den ersten Blick einfach, ist es aber nicht. Gerade als Frau kann ich mir schwer vorstellen, dass mein Partner manche Dinge einfach nicht merkt. Männer haben anscheinend nicht so feine Antennen für Gefühle, wie wir Frauen. Kommunikation als fester Untergrund für eine Beziehung. Irgendwie scheinen wir das zu wissen, aber die wenigsten setzen es um.

Es ist inspirierend, sich mit älteren Familienmitgliedern zu unterhalten. Nicht nur über oberflächliche Dinge, sondern über tiefgründige Fragen. Daraus können sich tolle Gespräche und Erkenntnisse ergeben. Somit kann ich euch nur raten, euch mit Großeltern, Eltern, Onkel, Tanten etc. pp. zusammen zu setzen und Fragen zu stellen. Es gibt Fehler, die andere vor uns gemacht haben, welche wir nicht wiederholen müssen. Ich nehme mir solche Ratschläge sehr zu Herzen und hoffe, dass sie in meiner Beziehung auf fruchtbaren Boden fallen werden.