Manchmal muss man sich emotional entblößen

Amazon ist ein toller Laden! Die wissen immer schon vor mir, was ich demnächst brauchen werde. Genauso geschehen mit meiner neusten Errungenschaft im Bücherregal.

Die Single-Falle“ von Lena Kornyeyeva. Veröffentlicht im September 2015. Als Untertitel lautet: „Frauen und Männer in Zeiten der Selbstverwirklichung„. Da schlägt das kleine Jule-Herz Purzelbäume und packt ein Exemplar ohne Rücksicht auf Verluste in den Warenkorb.

Ich konnte es kaum abwarten endlich mit dem Lesen zu beginnen, als das Buch bei mir an den Arbeitsplatz geliefert wurde. Ich als Luxusweib nutze natürlich unsere Hauspost, um mich nicht zur Post bewegen zu müssen 😉 Da lag es nun, dieses schöne weiblich-rosa Büchlein. Mir war schnell klar, dass ich einen Text über dieses Buch schreiben musste. Eine Rezension in einen Text zu fassen, erschien mir schier unmöglich! Warum? Weil es so viele Aspekte in diesem Buch gibt, über die man reden sollte. Manchmal sind es Zitate, manchmal Ansichten, die ich hier gerne beleuchten möchte. So zerstückle ich meine Rezension in viele kleine Teile und greife mir regelmäßig Zitate heraus. Ich werde dies nicht chronologisch tun.

Heute beginne ich mit Seite 168 aus Kapitel 7 „Am Abgrund“. Dazu eine kleine Vorgeschichte. Wie meine Facebookleser schon wissen, war ich diese Woche in Leipzig. Ich besuchte dort eine Online-Bekanntschaft. Er griff sich direkt meine Lektüre und blätterte auf der Suche nach meinen Textmarker-markierten Stellen. Hängen blieb er an dem folgenden Zitat:

Wenn Sandra nach Hause kommt, hat sie niemanden, mit dem sie über den Tag reden kann, niemanden, der sie lobt oder unterstützt. Mit Verzweiflung in der Stimme sagte sie mir: >>Ich wünsche mir doch nur, dass ich begehrt werde! << Begehrt werden heißt: beachtet werden, respektiert werden, einzigartig und unersetzbar für jemanden sein – und natürlich auch geliebt werden! Wenn sie sich über ihre Singlebörse mit einem Mann verabredet, kommt es manchmal auch zum Sex. Aber auch den Männern gegenüber bleibt sie die coole Chefin, die starke Frau. Sie trägt eine Maske, die es auch den Männern schwer macht, Lob und Zuneigung zu äußern. So wird es für sie fast unmöglich, das zu bekommen, was sie sich am meisten wünscht. Hinter der coolen Maske ist sie eine zarte Person. Doch seit ihrer Kindheit hat sie gelernt, keine Schwäche zu seigen, und ist als Filialleiterin damit immer gut gefahren – nur nicht im Privatleben.

Mein Date schaute mich mit großen Augen an.

Das mit der Maske, das stimmt, schau dich nur an!“ – sagte er mir, mit dem Finger auf die Textstelle tippend.

Er hatte recht! Hätte man im Zitat das Wort „Filialleiterin“ durch „Projektleiterin“ ersetzt, hätte es eine Beschreibung über mich ergeben. Es war komisch so eine Einschätzung von einem eigentlich fremden Menschen zu bekommen.  Diese Maske, die ich während meiner Verabredungen trage hat sich so gut angepasst, dass ich sie selbst kaum noch spüre. Ich bin die erfolgreiche Jule, die starke Jule, die selbstständige Jule. Schaut her und erkennt an, dass ich auch ohne euch zurecht komme! Dabei wünsche ich mir doch, dass jemand bemerkt, dass ich eben nicht das starke Mädchen bin.

Ich führe auch genau aus diesem Grund mein Date in Leipzig an. Stundenlang versteckten wir uns hinter unseren Masken, zogen uns auf und versuchten alles, um unsere harte Fassade zu schützen. Das funktionierte so lange, bis wir durch zwei Feuerzangenbowlen angeheitert auf der Couch lagen und die Gesprächsthemen aus der Luft griffen, ohne vorher groß darüber nachzudenken. Mit einem Thema traf ich bei ihm einen sehr wunden Punkt. Plötzlich fiel die Maske und er zeigte mir ein Gesicht, welches ich bei ihm noch nicht vorher erkannt hatte. Da saß mir ein Mann gegenüber, der einiges in seinem Leben durchgemacht hat. Ein Mann, der nichtmal seinen engsten Freunden von diesen Verletzungen erzählte. Im ersten Moment war ich hilflos. Wie geht man in so einer Situation vor? Wie verhindert man, dass zu tief gegraben wird und alte Wunden aufreißen?

Ich schätze es sehr, dass du mich an dieser Geschichte teilhaben lässt. Danke!“ – sagte ich einfühlsam und griff seine Hand.

Ich erkenne gerade etwas in dir, was ich die ganze Zeit gesucht habe.“ – ergänzte ich und sah ihn von diesem Moment an mit anderen Augen.

Er hätte für mich niemals stärker sein können, als in diesem Moment. Keine Betonfassade hätte in mir so viel Respekt auslösen können. Nachdem wir einige Momente schwiegen, setzte ich zum Kuss an. Ich konnte nicht anders! Diese Art der Verletzlichkeit bei einem Mann zu sehen, wirkte auf mich ungemein anziehend. Der Kuss war nicht wie ein normaler „Date-Kuss“, er war inniger und gefühlvoller. Er war auch verständnisvoller und vorsichtiger. Zwischen uns brach ein Eisberg, den wir uns durch unsere Masken erschaffen hatten.

Erstaunlicherweise verändert sich nicht nur mein Verhalten ihm gegenüber, sondern auch sein Verhalten mir gegenüber. Jetzt wo die harte Schale geknackt war, brachte er mir ehrliche Zuneigung entgegen. Er hielt meine Hände, nahm mich in den Arm und gab mir das Gefühl, sicher bei ihm zu sein. Sicher fühlte ich mich auch davor, aber es war jetzt eine emotionale Sicherheit. Unbewusst machte er mir das Versprechen, auch auf meine Gefühle aufzupassen, soweit es ihm möglich war.

Am folgenden Tag erkannten wir uns beide kaum wieder. Wir waren von zwei einander aufziehenden, starken Menschen zu zwei aufeinander achtenden und sich achtenden Menschen geworden. Wie gerne erinnere ich mich an eine Situation in der Stadt. Wir erlebten einen Moment, der uns beide aufwühlte und gerade für mich sehr unangenehm war. Normalerweise bin ich es gewohnt, dass sich Männer in so einer Situation zurückziehen bzw. mich das Problem lösen lassen. Meine Begleitung bemerkte mein Unwohlsein und zog meine Hüfte an sich heran. Er vermittelte mir damit: „Ich habe wahrgenommen, dass du dich unwohl fühlst. Ich bin an deiner Seite.“

Es ist so lang her, dass ich das Gefühl hatte, jemand steht an meiner Seite. Dass dort jemand ist, der mir etwas abnimmt, war ungewohnt. Wir waren in der Lage die Schwäche des Anderen anzuerkennen und so zu handeln, dass wir uns gegenseitig unterstützen konnten.

Auf der Heimfahrt ging mir das Zitat aus „Die Single-Falle“ noch einmal durch den Kopf. Hinter meiner Maske beware ich meine Schwäche auf. Ich verstecke dort die Dinge, die mich angreifbar machen. Es sind aber nicht nur Dinge die mich angreifbar machen, sondern auch die Dinge, die mich weich machen. Ich glaube erst das Zeigen der weichen Seite, löst in einem Mann das Gefühl aus, eine Frau beschützen zu wollen.

Lange habe ich versucht Situationen herbeizuführen, in denen ich beschützt werden sollte. Warum das nie geklappt hat, ist mir nun ein Stückchen klarer. Manchmal muss man sich emotional entblößen, um erkannt zu werden. Dass dies nicht einseitig klappt, sollte jedem bewusst sein. Behält der Mann seine undurchdringbare Schale bei, wird er nie spüren, wenn eine Frau eine Hand zum Halten braucht.